Rosenheim – Seit mehr als zweieinhalb Jahren wehrt sich die Ukraine gegen den russischen Überfall. Die Bilder der Zerstörung scheinen längst Alltag und drohen im alltäglichen Nachrichtenstrom in Vergessenheit zu geraten. Doch der Krieg ist nicht vorbei – daran hat das Jugendorchester „Die Arche“ eindrücklich erinnert. Unter dem Motto „Konzert für Frieden und Freiheit“ hatten die jungen Musiker in das Rosenheimer Kultur- und Kongress-Zentrum eingeladen. Es war ein Konzert, das nicht nur zum Nachdenken anregte, sondern auch musikalisch ein Genuss war.
Die Schirmherrschaft hatten Oberbürgermeister Andreas März und Landrat Otto Lederer übernommen. Der Reinerlös sollte an die Ukrainehilfe des Kreis Migration Bad Aibling und die Bürgerstiftung Rosenheim gehen. Von Beginn an war die Marschroute klar: Das Eröffnungsstück, die „Finlandia“ von Jean Sibelius, fasst den Widerstand des demokratischen Finnlands gegen das russische Zarenreich in Musik – so sehr, dass es damals von der zaristischen Zensur verboten wurde. Kraftvolle Bläser und einfühlsame Streicher dominierten den Auftakt, bis sich das Orchester zu triumphalen Motiven hochschaukelte.
Einführende Worte hielt Anke Hellmann, Kulturreferentin des Landkreises Rosenheim. Sie erinnerte an die Geschichte des Jugendorchesters, dass sich seit der Gründung im Jahr 1987 einen festen Platz in der regionalen Kulturszene erarbeitet hat – und dabei immer wieder unter Leitung des Dirigenten Rainer Heilmann-Mirow politische Themen in den Fokus genommen hatte. Dieses Mal gab es genug Anlässe: Der Krieg in der Ukraine und in Nahost haben die Notwendigkeit von Frieden und Freiheit im Jahr des 75. Geburtstags des Grundgesetzes schmerzhaft in Erinnerung gerufen.
Im anschließenden Violinkonzert in d-Moll von Sibelius zeigte sich, dass sich die akribische Probenarbeit gelohnt hatte. Das Orchester war extra eine Woche in die Toskana gefahren, um dort ungestört an den Stücken zu feilen. Solist Norman
Spaeth, Student am Salzburger Mozarteum, spielte ausdrucksvoll und das Orchester antwortete mit exakt platzierten Kommentaren. Insbesondere im rhythmisch herausfordernden letzten Satz schienen sich Orchester und Solist geradezu gegenseitig herauszufordern – als würde die gedrängte Musik daran erinnern, dass Freiheit immer wieder neu ausgehandelt werden muss.
Nach der Pause folgte die 3. Symphonie des ukrainischen Komponisten Boris Ljatoshinski. Das Werk basiert auf ukrainischer Volksmusik, der letzte Satz ist mit dem Titel „Der Frieden wird den Krieg besiegen“ überschrieben – genug, um nach der Uraufführung 1951 das herrschende stalinistische Regime auf den Plan zu rufen, das dem Komponisten vorwarf, die Stärke des Sozialismus nicht ausreichend zu verherrlichen. Die sowjetische Regierung zwang Ljatoshinski damals, den Satz umzuschreiben. In Rosenheim erklang die ursprüngliche Version, auch als politisches Statement.
Drei Urmotive treten in der Symphonie fast kriegerisch gegeneinander an. Sei es ein ukrainisches Volkslied gegen die martialische Rhythmik im ersten Satz, ein sehnsüchtiger Walzer gegen ein rhythmisch anspruchsvolles Scherzo oder eine Siegesgewissheit, die ins Ironische fällt.
Hochkonzentriert meisterten die Musiker die rhythmischen Tücken und dynamischen Feinheiten, führten durch das aufrüttelnde Werk, bis schließlich am Ende der Symphonie Glocken den Triumph eines ukrainischen Weihnachtslieds über all die Gegensätze verkündeten – der Frieden hat den Krieg besiegt. Und als nach langem Applaus als Zugabe das Stück „Melodiya“ des Komponisten Myroslav Skoryk, das auch als heimliche Nationalhymne der Ukraine gilt, erklang, schien es wie eine Bestärkung: Zum Frieden muss auch die Freiheit gehören.Kilian Schroeder