Rosenheim – An den Säulen und riesengroß im Altarraum hängen Bilder, die verbranntes Totholz zeigen. Schlag 20 Uhr wird es dunkel, dann leuchtet das Totholz im Blaulicht, von der Orgel kommen dissonante Schreie und unheimlich wimmernde Klänge, von irgendwoher verkündet vehement eine Frauenstimme, dass der dritte Teil der Bäume verbrennt und der dritte Teil des Meeres zu Blut wird, und von der Empore her singt ein Unheil verkündender Mönchschor das gregorianische „Dies irae“, die Sequenz zum Weltengericht: „Apocalypse now“ in der Nikolauskirche.
Man möchte mit Goethes Faust (wo ebenso mit Gesang und Orgel das „Dies irae“ ertönt) ausrufen: „Mich fasst ein längst entwohnter Schauer, / Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an.“
Der Weltuntergang in Wort, Musik und Bild
Wir befinden uns mitten in einem typischen „theatrum sacrum“, wie es Andreas Legath schon so oft in Kirchen des Inntals inszeniert hat: „Inntaler Klangräume“ nennt er diese Inszenierungen. Von ihm stammen die Totholz-Gemälde in Mischtechnik, die weibliche Stimme gehört Martina Gedeck, es singt das Ensemble „Singer Pur“, die Orgel spielt Wolfgang Mitterer: Die Apokalypse, der Weltuntergang, ereignet sich in Wort, Musik und Bild.
Martina Gedeck, ein apokalyptischer blonder Engel in schwarzem Samtkleid, schreitet sprechend durch die ganze Kirche. Das große Totholz-Bild hinter ihr erstrahlt abwechselnd in flammendem Rot, in kaltem Blau, in giftigem Gelb oder in fahlem Grün (Licht: Florian Polifka). Sie spricht nicht nur den Text der Apokalypse, sondern auch expressive Gedichte aus dem 20. Jahrhundert, dazu Goethes Gott herausfordernden und sich selbst vergottenden „Prometheus“ und Nietzsches Diktum: „Gott ist tot – und wir haben ihn getötet“.
Schweres Pathos und große Bedeutungswucht dröhnen in Gedecks Stimme, die aber dann sinnend-langsam und schmerzlich-schön die Gedichte von Georg Trakl, Paul Celan, Bertolt Brecht und Christine Lavant rezitiert: „Ich will vom Leiden endlich alles wissen!“
Die sechs Stimmen – eine Frauen- und fünf Männerstimmen – von Singer Pur entfalten und verschlingen sich und entschweben in der halligen Akustik der Nikolauskirche, bleiben aber immer hochpräsent, weil Singer Pur recht körperlich-markant zum Beispiel von „timor et tremor“ singt (von Giovanni Gabrieli), also von Furcht und Zittern, aber dann ganz zaghaft flehend wird, wenn um das Erbarmen Gottes gebeten wird. Das schlicht homophon gehaltene „Ecce quomodo“ von Jacobus Gallus erscheint einem wie eine kurze Erholung, bevor mit dem gregorianischen „rex tremendae“ wieder das Zittern vor dem göttlichen Richter einsetzt. Ehrfürchtiges Schauern herrscht bei „Media vita“ von Ludwig Senfl: Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen, sagt der Text. Wenn Singer Pur vorne im Altarraum singt, sieht man auch die hohe Kunst des Ensemble-Gesangs, das Aufeinanderhören und -sehen, sanft geleitet von der Sopranistin Claire Elizabeth Craig – die auch mal einen Vers des „Dies irae“ alleine singt.
Alles aber war durchmischt, verbunden und intensiviert durch die Orgelmusik von Wolfgang Mitterer. Immer wieder war man erstaunt, welch herbe, flüsternde, schreiende und gewaltige Klänge er aus der Reil-Orgel herausholt, sie mit elektronischen Sampler-Klängen mixt und so die Gesänge und die Rezitationen verstärkt, verdichtet und überhöht: Die sieben Posaunen der Apokalypse ertönten aus der Orgel.
Tröstlicher
Choral
Doch wo war in der Endzeitverzweiflung die versprochene Hoffnung im Titel „ad lucem“, also zum Licht? Zum einen schimmerte das goldene Kreuz im Totholz als Zeichen der Überwindung des Todes. Zum anderen liegt ein Trost darin, die Verzweiflung aussprechen zu können und sie künstlerisch zu bewältigen. Poesie und Musik können so Trost bieten – den auch der Text der Apokalypse selbst gibt: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“, versprach Martina Gedeck mit den Bibelworten.
Doch der beste Trost kam von der Musik: Als Singer Pur am Ende den Bachchoral sang „Es ist genug“ und den diabolischen Tritonus, die drei aufeinanderfolgenden Ganztöne, harmonisch expressiv ausreizte, war das versprochene Licht und die Hoffnung auf eine neue Erde da. Lang anhaltender Applaus in der voll besetzten Kirche war der Dank für dieses tief beeindruckende „theatrum sacrum“.