Ein Interview mit Franz Kafka

von Redaktion

Ungewöhnliches Format zeigt in Wasserburg unbekannte Seiten des Jahrhundertautors

Wasserburg/Albaching/München – 2024 steht für Literaturfreunde ganz im Zeichen des 100. Todestages von Franz Kafka. Seine Werke zählen zur Weltliteratur, viele sind Pflichtlektüre in Lehrplänen. Auch Hannah Zitzmann und Dr. Andreas Belwe kennen „ihren“ Kafka. Sie sind fasziniert von dem Schriftsteller, der bis heute etwa Rätselhaftes an sich hat. „Er ist eine singuläre Erscheinung, er war seiner Zeit weit voraus: ein Visionär“, findet Belwe. Und Zitzmann ergänzt: „Er war radikal in seinem Künstlertum. Er hatte den Drang, zu schreiben. Und er könnte, obwohl er schon 100 Jahre tot ist, ein Gegenwartsautor sein.“

Doch trotzdem gilt Kafka bis heute nicht unbedingt als leichte Kost. Sein Werk erschließt sich nicht jedem, schon gar nicht auf die Schnelle. Das muss nicht so sein, will das Künstlerduo beweisen. Es lädt am Samstag, 19. Oktober, um 19.30 Uhr ein zum „Talk mit Kafka“, live auf der Bühne des Gimplkellers. Ein Zwiegespräch zwischen dem Autor (Belwe) und einer Journalistin (Zitzmann), die ihn bei einem seiner Sanatoriumsaufenthalte in der Klinik besucht. Das Gespräch: fiktiv. Die Fragen: aus der Jetzt-Zeit, die Antworten: im Original aus Kafkas Werken.

Zwiegespräch auf der Bühne in Wasserburg

Ein ungewöhnliches Konzept, quasi „kafkaesk“? Zitzmann und Belwe geben lachend zu, dass sie anfangs nicht wussten, ob das Format funktionieren würde. Tut es aber, wie das Duo schon bei zahlreichen Auftritten bewiesen hat. Die Idee stammt von Belwe, Hochschullehrer für Philosophie und Wissenschaftsdidaktik an der Hochschule München.

Er befasste sich 2010 intensiv mit einem weiteren wichtigen Autor: Arthur Schopenhauer. Geplant war damals ein Buch zum 150. Todestag des Denkers und Schriftstellers, das Interesse der Verlage war angesichts der Vielzahl an Biografien eher mäßig, erinnert sich Belwe. Doch ein Hörbuchverlag sprang auf das Konzept des Interviews mit Schopenhauer an und veröffentlichte es.

Außerdem probierte Belwe das Zwiegespräch vom Hörbuch live auf der Bühne aus. Zu Gast im Publikum: Zitzmann. „Mich hat das Format sofort überzeugt“, erinnert sie sich. Die klassische Sängerin aus Albaching, selber bühnenerfahren, und der Philosoph aus München taten sich zusammen. Es entstanden weitere Talkshows: mit Hermann Hesse und Rosa Luxemburg, jeweils als Bühnenstücke und als Publikationen.

Jetzt, im Jahr des 100. Todestags von Kafka, haben Zitzmann und Belwe das erste komplett gemeinsam geschriebene Buch verfasst. Erneut sprechen darin eine Journalistin des Heute und der Schriftsteller, der mit Zitaten aus seinen Tagebüchern und Briefen auf die Fragen antwortet. Studentinnen der Fakultät von Belwe haben Design und Illustrationen dazu gesteuert. Am 14. Mai feierte das dazu passende Bühnenstück in Haar Premiere, am 19. Oktober kommt das Künstler-Duo nun mit der Aufführung in den Gimplkeller.

Beide kennen Kafkas Hauptwerke, doch in seine Tagebücher und Briefe musste sich selbst Literaturfan Belwe selbst erst hinein fuchsen, wie er sagt. Zitzmann betont, durch die intensive Beschäftigung mit den Aufzeichnungen Kafkas sei sie so tief wie nie zuvor in das Werk des Schriftstellers vorgedrungen. „Es war auch eine Entdeckungsreise für mich“, sagt sie. Belwe berichtet, die Welt Kafkas habe sich ihm neu erschlossen. Und durch die Begegnung und das Gespräch mit einer Interviewerin aus der Jetzt-Zeit gelinge es, Kafka in die Gegenwart zu holen. Trotzdem war es nicht einfach, einen Gesprächsfluss aufzubauen. Denn der Talk sollte nicht gestelzt und künstlich wirken, sondern authentisch.

Die Gesprächsschnipsel im Frage-und-Antwort-Spiel erwiesen sich als gute Gelegenheit, auch ein jüngeres Publikum für den bedeutendsten Autor des frühen 20. Jahrhunderts zu interessieren. Er spricht über sein Leben mit Kindheit und Schulzeit, über das Schreiben, Beziehungen, die Familie, gesellschaftliche Zwänge, Wünsche und Sorgen, Träume und Ängste. Kafka auf der Bühne: eine schillernde, facettenreiche Persönlichkeit. Das mag verwundern, denn bekannt ist der Jahrhundert-Schriftsteller eher als düsterer und depressiver, ja rätselhafter und seltsamer Typ. So sehen ihn Belwe und Zitzmann, die sich ein Jahr lang durch die Tagebücher und Briefe Kafkas geackert haben, eher nicht. Ihr Kafka ist auf der Bühne ein Mensch voller Hoffnung, mit einer spirituellen Seite, versehen mit großem Vertrauen „in das Unzerstörbare im Menschen“. Bei ihren Auftritten ernten Belwe und Zitzmann deshalb oft auch Lacher. Das Publikum gehe mit, wirke entspannt, amüsiert bis nachdenklich, berichten sie.

Zitzmann ist Theater-erfahren, führt auch Regie, moderiert gerne. Ihr ist der Auftritt vor Publikum nicht fremd. Belwe stellte fest, dass ihm diese Unterhalter-Rolle auch im Blut liegt, denn als Hochschullehrer ist es auch seine Aufgabe, Menschen zu begeistern und Inhalte zu transportieren. Als Künstler-Duo ergänzen sie sich gut, finden sie. Zitzmann als spontan agierende Theaterfrau, Belwe als eher strukturierter, analytischer Geist.

Intensive Auseinandersetzung

Viel schwieriger als das Üben für den Bühnenauftritt war für sie die Vorarbeit: die Auseinandersetzung mit den Hauptromanen Kafkas, die Suche nach passenden Zitaten, die Analyse von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen. Das daraus entstandene Buch und das Stück „sind hart erarbeitet worden“, sagen sie. „Doch es hat sich gelohnt.“ Das entstandene Werk auf die Bühne zu bringen, die Gesprächssituation zu spielen, Kafka in szenischen Dialogen zum Leben zu erwecken: Das funktioniert, wollen sie am Samstag, 19. Oktober, im Gimplkeller beweisen.

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