Aschau – Abdullah Ibrahim hat seinen Stil. Nicht den nur einer Kultur, nicht den eines Landes. Seinen eigenen. Er habe bei Meistern gelernt, sagt er, in Afrika, Europa, den USA und Japan. Duke Ellington sei sein Mentor gewesen, sagen die Nachschlagewerke. In denen hat er selbst seit vielen Jahren seinen Platz, als wichtiger Vertreter des Cape Jazz.
Seine Reise begann aber lange davor. Vor etwas über 80 Jahren in Kensington, einem damals armen Stadtteil von Cape Town. Dort habe die Großmutter den Weg geöffnet, erinnert er sich mit einem warmen Lachen. „Sie schickte mich zum Lehrer am Ort, als ich sechs Jahre alt war, damit ich Klavier lerne.“
Die Erfahrung
des Menschseins
Und früh machte er eine Erfahrung, die für ihn bahnbrechend gewesen sein muss. Bei seinen Großeltern gab es ein Grammophon, und da gab es diese Schallplatte. „Die hörte ich jeden Tag und jede Nacht“, sagt er. Unbeeindruckt davon, dass andere fragten, was er da für einen Mist höre, sei die Scheibe im Dauerbetrieb gelaufen. Und als das Grammophon kaputtging, drehte er den Plattenteller mit dem Finger. Weil das Label fehlte, habe es gedauert, bis er herausfand, was ihn da so faszinierte. „Es war Debussy“, sagt er. Sein Umfeld sei afrikanisch, seine Musik auch. „Aber dieses Stück hat alles verändert.“ Es sei die Menschlichkeit, die Erfahrung des Menschseins, was uns verbinde. Das habe er erkannt.
Auf den Punkt bringen kann man Abdullah Ibrahims Reise am Tag von Südafrikas Wiedergeburt. Vor 30 Jahren war das, am 10. Mai 1994 in Pretoria. Nelson Mandela wurde als Staatspräsident Südafrikas ins Amt eingeführt, nach Jahrzehnten des Kampfes gegen die Apartheid.
Abdullah Ibrahim spielte bei diesem feierlichen Akt sein Stück „Mannenberg“, das Stück, das viele Menschen in Südafrika als Symbol gegen das Regime der Rassentrennung begreifen. Als Hymne, aber eine von der fröhlichen Art, leichtfüßig und entspannt, 1974 komponiert. Das maximale Gegenstück zur Apartheid. Und nun der Soundtrack eines historischen Moments.
Doch Abdullah Ibrahim spricht nicht vom Ruhm. Er spricht von dem, was Menschen verbindet. „Ich spürte die Menschen“, sagt er, ihre Erwartung der Freiheit. „Es war ein unglaubliches Gefühl, nicht für mich allein, sondern für alle, für die ganze Nation, ohne Rücksicht darauf, wer wir sind.“ Abdullah Ibrahims Reise ist kein Solo-Trip. Immer gab es Begleiter. Mal auf Zeit, mal auf Dauer.
Seit zwölf Jahren lebt Abdullah Ibrahim nun in Aschau. Es ist ruhig dort, es ist schön. Vor allem sind da die Berge. „Ich habe viele Stunden, Tage und Nächte in den Bergen verbracht“, erzählt Ibrahim vom Tafelberg und seinen Nachbarn. „Berge waren für mich Orte der Kraft und der Zuflucht.“ Auch danach spielten Berge eine besondere Rolle, sagt er. Auch in Aschau. Noch immer seien sie Zuflucht, noch immer Trost.
Und da ist seine Frau, Dr. Marina Umari, Fachärztin für Orthopädie und Kinderorthopädie. Sie ist der Grund, warum er nach Aschau gezogen ist. „Meine Gefährtin und meine Unterstützung in allen Belangen“, sagt er. Sie steht ihm auch bei seinen Konzerten zur Seite.
Schon seit Jahren spielt er zum Geburtstag beim Hirzinger in Söllhuben. „Das erste Konzert dort hat ein naher Freund organisiert“, sagt er. „Und so haben wir diesen schönen Saal entdeckt.“ Gemeinsam habe man einen ganz besonderen Ort für Musik geschaffen. „Er ist einzigartig, er hat perfekte Akustik, der Ort ist freundlich und intim“, meint der Südafrikaner. Außerdem sei da diese besondere einheimische Musiktradition, Musikanten, die immer wieder beim Hirzinger aufspielen. Das schwinge auch mit.
Vier Konzerte
beim Hirzinger
Am heutigen Mittwoch feiert Abdullah Ibrahim einen runden Geburtstag: seinen 90. Und er feiert nicht allein. Vier Konzerte gibt er, beim Hirzinger in Söllhuben. Die kleine Reihe beginnt am Donnerstag, 10. Oktober, und sie endet am Sonntag, 13. Oktober. „Geplant waren drei“, sagt Marina Umari, seine Frau. Aber die seien sogleich ausverkauft gewesen, daher gibt es nun ein weiteres, viertes Konzert.
Was er da genau spielen wird? „Keine Ahnung“, sagt er. Wenn man vorher wüsste, was komme, brauchte man ja auch gar nicht erst zum Konzert schauen. Irgendwie wird‘s wohl so werden wie immer, also anders als die Male zuvor. Das Zusammensein im Saal, das Reagieren aufeinander, baut Barrieren ab, ergibt etwas Neues. Und so mache er Musik. Einfach zu sagen, schwierig zu machen. „Jeder Ton, den ich spiele“, sagt Abdullah Ibrahim, „muss rein sein und ohne Ego.“