Die Auslöschung eines Menschen

von Redaktion

Vortrag über „Käfer und Ungeziefer“ im Werk von Franz Kafka in der Goethe-Gesellschaft Rosenheim

Rosenheim – „Nur Sie können mir helfen. Sie müssen es!“ schrieb im April 1917 der ratlose Leser Dr. Siegfried Wolff in einem Brief an Franz Kafka. Wolffs Cousine hatte mit Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ nichts anzufangen gewusst. Der Germanist Dr. Michael Schmidt beleuchtete in einem erhellenden Vortrag mit dem Titel „Käfer und Ungeziefer im Werk Franz Kafkas“ Inhalt und Hintergründe der Erzählung. Schmidt sprach auf Einladung der Goethe-Gesellschaft im Künstlerhof am Ludwigsplatz.

„Die Verwandlung“ handelt von dem Reisenden Gregor Samsa, dessen plötzliche Verwandlung in ein Ungeziefer die Verständigung seines sozialen Umfelds mit ihm immer mehr hemmt, bis er von seiner Familie isoliert wird und schließlich zugrunde geht.

Schmidt erläuterte den Zuhörern ausführlich die Bedeutung der Erzählung und zog Parallelen zu Kafkas beruflicher Situation. Kafka habe als Versicherungsangestellter einen ungeliebten und anstrengenden Beruf ausgeübt. Gregor Samsa leidet unter einem unmenschlichen Arbeitsplatz. Als Alleinernährer der Familie ist er gezwungen, die Schulden seines Vaters abzubauen.

„Gregor ist abhängig von seinem Chef und lediglich ein Rädchen in der Arbeitsmaschinerie“, so Schmidt. Kafka thematisiere das Misstrauen in der Arbeitswelt. Der Prokurist sucht Gregor auf und fragt ihn, warum er nicht zur Arbeit erschienen ist. Er wirft ihm vor, unbefriedigende Leistungen erbracht zu haben: „Eine Jahreszeit, um keine Geschäfte zu machen, gibt es nicht, darf es nicht geben.“

Der übermächtige Vater ist Frührentner, die Mutter leidet an Asthma und die Tochter pflegt sich. Zu Gregor stellt sich kein herzlich-menschlicher Verkehr ein, keiner aus dem Büro kümmert sich mehr um ihn. Die menschliche Sprache kann er zwar verstehen, aber nur noch zuhören und nicht mehr reden. Seine menschlichen Züge werden allmählich immer mehr durch tierische Verhaltensweisen ersetzt. Gregor beginnt, seine neue Identität als Käfer zu akzeptieren.

Als Mutter und Schwester sein Zimmer ausräumen, versucht Gregor verzweifelt, eine Fotografie, die in einem Rahmen an der Wand hängt und eine Dame mit einer Pelzboa zeigt, zu retten. Er klammert sich an das Bild, um es zu schützen. Bei seinem Anblick verliert die Mutter vor Schreck das Bewusstsein. Als der Vater von seiner Arbeit heimkehrt, wirft er wütend mit Äpfeln nach Gregor. Einer bleibt in dessen Rücken stecken und verwundet ihn schwer. Auch die Schwester will sich nicht mehr um ihn kümmern und spricht nur noch von einem „Untier“. Gregor verwahrlost und stirbt. „Sehen Sie nur mal an, „es ist krepiert“, sagt die Bedienerin zur Familie, als sie ihn eines Morgens findet. Am Ende ist die Familie erleichtert, dass Gregor tot ist. Für sie beginnt ein neues Leben.

Kafka war oft krank. Abgesehen von der Erzählung „Die Verwandlung“, die er in einem Monat niederschrieb, blieben mehrere Texte unvollendet, wie die Romane „Der Prozess“, „Das Schloss“ und „Amerika“. Mit Bezug auf die in der Literatur des Expressionismus verwendete Tiermetapher gestand Kafka einem jungen Bewunderer: „Das Tier ist uns näher als der Mensch“ und „Man kehrt zum Tier zurück, wohl geborgen in der Herde. Man fürchtet sich vor der Verantwortung.“ Georg Füchtner

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