Söllhuben – Abdullah Ibrahim ist gerade 90 Jahre alt geworden. Ein Alter, in dem sich andere schon längst aufs Altenteil zurückgezogen haben. Nicht er.
Seit vielen Jahren beschenkt der in Südafrika geborene Jazz-Musiker sich und sein Publikum mit einem Konzert zu seinem Geburtstag. Also steht er auch an seinem Ehrentag auf der Bühne. Aber nicht ein, sondern gleich vier Konzerte an vier Abenden hintereinander bestreitet Abdullah Ibrahim im Hirzinger-Saal zu Söllhuben. Einen Saal, den er nach dem Konzert in Englisch als „als einen der ikonischsten Auftrittsplätzen der Welt “ ob seiner Akustik loben wird.
Musikalischer
Erzählfluss
Ohne langes Vorspiel setzt sich der Jazz-Künstler an den Fazioli-Flügel. Aus leisen, langsamen Tönen schält sich eine Melodie heraus, die sich über 45 Minuten weiterentwickelt. Ein nicht enden wollender musikalischer Erzählfluss, ein unendlicher Strom von Melodien und Motiven, ein Sog, der einen mitzieht. Träumerisch fließend, spröde charmant, hart klingende Akkorde und Sprünge – „Complicated“ wie das Leben eben. Seinen bekannten Stücken wie „Trieste my love“, „Blue Bolero,“ „Capetown District Six“ oder „For Coltrane“ fügt der Pianist viele neue Melodien in wundersamer Harmonie und Schönheit hinzu. Bewusst gesetzte Pausen sorgen für Spannung.
Selbst wenn die linke Hand rhythmische Bassmelodien à la Thelonious Monk anschlägt, hört man sorgfältig gesetzte Akkorde, die Kontrapunkte für die frei mäandernde Rechte liefern. Da geht es Tonleitern hinauf, da eilen die Finger mit perlenden Läufen wieder hinab. Dunkle Muster, von denen sich die hart mit der rechten Hand angeschlagenen Melodien abheben. Dichte Tonwolken, die sich kurz darauf wieder auflösen. Ein Wechselspiel wie eine Zeitreise.
Der in Kapstadt geborene Künstler, vielen unter seinem früheren Künstlernamen Dollar Brand bekannt, hat viel zu erzählen. Schon als Kind und Jugendlicher war er in Kapstadt einem fruchtbaren Mix an Musikstilen von traditionellen afrikanischen Liedern bis zur Klassik ausgesetzt. Das Rüstzeug für seine Karriere erwarb er sich in zahlreichen Dance-Bands von Kapstadt und Johannesburg, damals noch unter dem Namen Adolph Johannes „Dollar“ Brand, den er erst 1968 in Amerika, nach der Konversion zum Islam, ablegte.
Aus Protest gegen das Apartheidsystem seiner südafrikanischen Heimat verließ er Südafrika, verbrachte Jahrzehnte in Europa und den USA, wo er in New York unter anderem kurzzeitig mit Duke Ellington arbeitete. Er schrieb mit „Mannenberg“ eine Antiapartheidhymne, spielte bei der Inauguration Nelson Mandelas 1994. Der japanische Kaiser verlieh ihm sogar im Frühjahr 2020 den „Orden der aufgehenden Sonne“ in Anerkennung seines Lebenswerks.
Trotz alledem wirkt Abdullah Ibrahim würdevoll, bescheiden, in sich ruhend. Seine Musik ist Spannung pur, begeistert mit ihrer nachdrücklichen Erzählkraft und strahlt dennoch stille, kontemplative Kraft aus. Eine Kraft, die das Publikum – aus ganz Deutschland, aus der Schweiz und Italien, aus den USA und Simbabwe sind Zuhörer angereist – beinahe in meditative Trance versetzt.
Gospelsong
zum Ende
Dabei waren der Auftakt des Geburtstagskonzerts und das Ende des Konzerts eher ungewöhnlich: Als Ouvertüre spielte das kleine Streichorchester Symphonia Aschau das von Abdullah Ibrahim anlässlich der Amtseinführung Nelson Mandelas komponierte Werk
„Peace“. Und statt Zugabe am Fazioli-Flügel sang Abdullah Ibrahim ein an einen Gospelsong erinnerndes Stück. Es geht um Schiffe, um die Sklaverei und um Afrika. Erst auf Englisch, dann auf Zulu: „Welcome home… I hope I see my home again some day…“ Ein berührendes Ende.
Er selbst, so hatte er einmal in einem Interview mit der Rezensentin betont, wolle nie aufhören, Musik zu spielen. Es sei wie bei einem Kreis, der habe schließlich auch kein Ende. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk als seine Musik hätte Abdullah Ibrahim sich und seinem Publikum nicht machen können.