Prien – Die Cellistin Anja Lechner, aufgewachsen in Neubeuern, hat sich international einen großen Namen gemacht. Zusammen mit dem Rosamunde Quartett, mit Francois Couturier, mit Anna Gourari und Silke Avenhaus sowie im Improvisationsbereich mit Vassilis Tsabropoulos und Maria Pia de Vito (um hier nur ein paar zu nennen) ist sie aufgetreten, hat zahlreiche Aufnahmen veröffentlicht. Nun ist sie wieder im Chiemgau – solo.
Bei Jazz am Roseneck stellte sie Ausschnitte ihrer neuesten CD vor. Wer ihrem Spiel mit dem Barockbogen lauscht, ist sofort gefangen. Beinahe meditative Züge nimmt so mancher Bachsche (1685 bis 1750) Satz aus den Suiten Nr 1 und 2, BWV 1007 und 1008, an. Die Gigue nimmt Anja Lechner schwungvoll, ernst und gravitätisch die Allemande, die schnelle Courante wiegt sich im Dreiertakt. Höchst artikuliert und transparent nimmt Anja Lechner die technischen Raffinessen, verbeugt sich vor der formalen Strenge. Und dennoch wirkt ihr hingebungsvolles Spiel unangestrengt elegant. Die Solo-Stücke von Carl Friedrich Abel (1723 bis 1787) und Tobias Hume (um 1560 bis 1645) sind eigentlich für die Viola da Gamba komponiert. Anja Lechner nimmt sich die Freiheit, diese auf ihrem Cello vorzutragen. Was für ein großartiger warmer Cello-Klang entfaltet sich da. Das Arpeggio und das adagio in d-Moll von Carl Friedrich Abel (1723 bis 1787) wirken zwar nüchterner als die BachSuiten.
Und doch vermag es Anja Lechner, diese Juwelen der barocken Komponierkunst mit galanten Verzierungen und akzentuierten Läufen zum Leuchten zu bringen. Tobias Hume, der schottische Komponist, Gambist und Soldat, war einer der Maßgebenden für das Viola da Gamba Spiel. Er habe, wie die Cellistin erzählte, wohl erstmalig in der Musikgeschichte die col legno-Spielweise in einem Werk notiert. Auch das pizzicato sei wohl ihm zu verdanken. „Das war für damalige Zeiten ganz schön modern.“
Für Gambe seien seine Lieder komponiert. Diese für Cello zu transkribieren, habe sie gereizt. Anja Lechner sagt zwar die Titel an: „Harke, harke“ (was so viel wie listen closely (hör gut zu) bedeutet) oder „A question,“ „an answer,“ oder „Tom And Mistress Fine.“
Aber eigentlich braucht ihr Cellospiel keine Worte. Die Lieder besitzen schon allein durch ihre Melodien Aussagekraft. Es sind Lieder, die an John Dowland (um 1563 bis 1626) und an Shakespeare-Gedichte erinnern. Mal schwermütig, harmonisch affektvoll, zwischen Dur und Moll schwankend, dann wieder Volkstanz mäßig leicht und charmant. Es ist eine Zeitreise mit dem Cello in die Welt vor über 500 Jahren. Dabei sitzt man in einem umgebauten Stadel, der zum großzügigen Wohnraum mit viel Kunst an den Wänden ausgebaut ist und für Konzerte von den privaten Gastgebern zum Konzertsaal umgebaut wird.
Normalerweise sind es Jazz-Konzerte, die ans Roseneck locken. Diesmal war es klassisches Cello. Hommage an das Cello – pure musikalische Schönheit mit berührendem und würdevollem Ton. Und eine intensive Klangerfahrung für die Zuhörer.Elisabeth Kirchner