Sie wagten ein Wunderwerk

von Redaktion

Michael Gartner und Roman Linke vertanzen Haydns „Schöpfung“

Rosenheim – Der Chor singt „Und es ward Licht!“, zu dieser Licht-Klang-Explosion in strahlendstem C-Dur schreitet aus der Mitte des Chores eine weiß gekleidete Lichtgestalt mit angedeuteter Krone hervor und erschafft aus dem Chaos mit feierlichen Handbewegungen kreisende Galaxien, das Licht, das Weltall, die Welt: So gestaltet der Dirigent Michael Gartner zusammen mit dem Ballettdirektor Roman Linke und dem Regisseur Stefan Hanusch Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ im fast ausverkauften Rosenheimer Kultur- und Kongress-Zentrum.

Eine wandelnde Lichtgestalt

Die Lichtgestalt (Regina Semmler) – ist es ein „kreative Kraft“? Ein Engel? Ist es Gott oder gar Göttin? – wandert durch das ganze Oratorium und dirigiert visuell die Schöpfung: Blaugekleidete Kinder mit kleinen, wellenbewegten Schleiern symbolisieren das Wasser, größere Kinder in hellgrünen Kleidchen mit kopfnickenden Grasbüscheln das Gras, die Blumen und die Obstbäume, jugendliche Tänzer in grellbunten Kostümen mit Vogelschnäbeln die zahlreichen Vögel vom Raben bis zum Pfau. Dann tanzen durchsichtige Regenschirme, vorher sind schon die Sonne und der Mond als große Scheiben aufgestiegen, ein bisschen Augsburger-Puppenkiste-Heiterkeit kommt auf, wenn die erschaffenen Tiere von einzelnen Chormitgliedern als schattenwerfende Stabpuppen vorgeführt werden.

Schließlich steht zum Schluss die Erschaffung des Menschen an: Waren es vorher die Eleven der Ballettschule Bartosch-Linke, erstehen nun auf den Wink der Lichtgestalt Maximilian Neumayer und Nina Knan von #mkmARTable synchron als Adam und Eva und betanzen freudig, energisch und teilweise im Breakdance-Stil ihre Erschaffung als Menschen, und zwar gleichzeitig als Mann und Frau. Damit endet auch das Oratorium, der dritte Teil fällt weg.

Die wunderschönen, aussagekräftigen Kostüme von Lilli Hartmann und das stimmige Lichtdesign verdichten noch dazu alles zu einem großen, staunenerregenden und überraschungsfreudigen Medienspektakel – ja fast zu einem Musical. Das ist alles herrlich anzusehen, man kommt aus dem Staunen gar nicht heraus, alle Tanzszenen werden mit begeistertem Zwischenapplaus bedacht – aber war da nicht noch etwas? Gab’s da nicht auch Musik? Vor lauter Schauen und Staunen gerät das Hören fast etwas ins Hintertreffen. Der Chorkreis St. Quirinus tritt auf und ab, teilt sich oder füllt vielzahlig die ganze Bühne und bleibt oft im Dunkeln. Seine Rolle ist das Bejubeln der Schöpfung, und das tut der Chor wacker, freudig und fugensicher.

Die Rolle der drei Solisten ist die der Schöpfungserzählung. Julia Duscher, Thomas Hamberger und Eric Price sind (zu) dunkel gekleidet in einer Mischung aus Gospelsänger und Propheten und stehen buchstäblich am Rand des Geschehens – ein Punktscheinwerfer hätte nicht geschadet. Sie singen alle mit viel Feinsinn, Wortdeutlichkeit und liebender Anteilnahme, hier insbesondere Thomas Hamberger, bei dem man gar meinen könnte, er sei nicht der Erzengel Raphael, sondern Gott persönlich, der seine Schöpfung liebend anschaut. Julia Duscher jubelt mit hellem, mädchenhaftem Sopran, Eric Price singt mit ebenso hellem Tenor. Schöner wäre es gewesen, wenn sie im Zentrum der Bühne gestanden und von dort aus erzählt hätten, wenn sie ein bisschen gestisch mitagiert hätten. Hamberger tat dies zu Beginn, als er auswendig in Prophetenpose die Bühne betrat und mit Armbewegung auf die kommende Schöpfung deutete. Eine kraftvollere und schärfere Diktion hätte mehr Aufmerksamkeit gebracht.

Orchestraler Donnerschlag

Explosive Kraft, geschärfte Exaktheit und großer Detailreichtum kommt aus dem Orchester, der von Johannes Berger, der ganz bescheiden hinten am Cembalo sitzt, gegründeten Capella München. Mit gewaltigem Donnerschlag beginnt das „Chaos“ vor der Schöpfung, die Geigen setzen erst zaghaft ein und werden dann immer erregter, bis es zum vielfachen Donnerschlag kommt: Die Pauke spielt nicht nur, sie spielt mit. Die einzelnen Instrumente heben sich solistisch heraus, wenn sie die Tiere charakterisieren, lieblich girrt taubengleich die Flöte, idyllisch tönen die Klarinette und die Oboe.

Wagemutig seien sie mit ihrem Projekt gewesen, sagten Michael Gartner und Roman Linke im Interview: In der Tat, was sie gewagt hatten, war sehr mutig, was sie geschaffen haben, war ein großes Werk, immens aufwendig, lichtkräftig, bilderreich, gedankenstark: Mit Staunen sah – um mit dem Oratorientext zu sprechen – das Wunderwerk der Erdenbürger frohe Schar, die am Ende jubelte, tobte, pfiff und endlos applaudierte.

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