„Sag einmal: Was hat denn der Wortbestandteil ‚kam‘ in bayerischen Ortsnamen zu bedeuten? Bei der Silbe ‚ham‘ weiß ich ja Bescheid: ‚Ham‘ ist das Ergebnis der Entwicklung von ‚Heim‘ über ‚Hoam‘ zu ‚Ham‘. Siehe Aufham, Bergham, Thalham, Westerham und viele andere mehr. Aber wie kam es zu einem Bolkam, Sachsenkam, Wolferkam? Ich tippe da mal auf einen bildlich gemeinten Kamm im Namen, genauso wie es bei einem Gebirgskamm oder Bergkamm der Fall ist. Also eine Reihe von Gipfeln nacheinander, die wie bei einem Haarkamm regelmäßig angeordnet und miteinander verbunden sind. Ein Beispiel wäre etwa der Thüringer Wald.“
Die Anfrage des aus Nordrhein-Westfalen stammenden, in Bayern arbeitenden und vielseitig interessierten Religions- und Sportlehrers Andreas Prock kann am besten anhand eines uralten kam-Ortes diskutiert und – vielleicht – auch beantwortet werden. Zur Diskussion steht also ein Kamm, bairisch a Kambbe (helles a), als Erklärung für das Element -kam in Ortsnamen, so etwa im Sinne von Ortschaften, die parallel nacheinander, wie bei einem Kamm also, geografisch gereiht sind und daher das Wortelement -kam im Namen haben.
Der allererste Rat an den Andreas – und an viele andere Laien der Ortsnamenforschung – lautet gemäß dem Nestor der Toponymie, Dr. Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstein: „Nie vom gegenwärtigen Ortsnamen ausgehen, sondern die älteste Schreibung herausfinden und diese dann bearbeiten!“
Gesagt, getan. Der Pädagoge bekommt die ersten Nennungen des Dorfes Bolkam, das einen Kilometer südwestlich von Hohenthann in der Gemeinde Tuntenhausen liegt, geliefert.
Bolkam ist in den Freisinger Traditionen (Schenkungs-/Übergabeurkunden) aus den Jahren 937 bis 957 als „Pollincheimun“ und „Pollinchimun“ überliefert. Der Andreas ist zunächst etwas ratlos, aber nach reiflicher Überlegung trennt er nicht „Pollin-cheim-un“, sondern „Pollinc-heim-un“. Schnell erkennt er „-heim-un“ als „bei den Heimen beziehungsweise Häusern“. Probleme bereitet aber „Pollinc“.
Hilft hier die „Chronik der Gemeinde Tuntenhausen“ entscheidend weiter, die 1998 von Marianne Eckardt und Werner Katzlmeier vorgelegt worden ist? Die beiden Autoren erwähnen – nicht ganz punktgenau – ein „Pollincheim“ in den betreffenden Freisinger Traditionen. Sie haben aus der Mehrzahlform im Dativ Plural („Pollincheimun“) eine Einzahlform im ersten Fall gebildet: „-heim“ = „das Heim“.
Was aber in dieser Chronik sehr hilfreich ist, liegt in der Präsentation einer (erschlossenen) Urform des Ortsnamens: „Pollingoheim“. Eckardt und Katzlmeier übersetzen diesen Wortlaut als „Heim der Leute eines Pollo“.
Wie kommt es aber zu dieser Wiedergabe? Nicht nur der Andreas erkennt bei „Pollingo“ eine -ing-Form; diese drückt oftmals eine Zugehörigkeit aus. „Pollingo“ ist dabei die Form des Genitiv (Wessen-Fall) im Plural. So kommt es zur Wiedergabe „Heim der Leute des Pollo“. Der Zusammenfall von ing, damals wohl als ink gesprochen und mit c geschrieben – Pollinc –, mit dem h des Wortelements -heim führte zum k bei -kam. Problem gelöst! Ein Kamm wird beim Ortsnamen Bolkam also nicht einmal bildlich gebraucht! Armin Höfer