Erl – Die Passionsspiele Erl bieten alle sechs Jahre ein beeindruckendes Schauspiel. Rund 500 Laiendarsteller aus dem 1500-Einwohner-Ort Erl wirken mit. Die Vorbereitungen für die kommende Saison sind bereits in vollem Gange. Spielleiter Peter Esterl (50) spricht im Interview mit den OVB-Heimatzeitungen über die intensiven Vorbereitungen, Neuerungen und die Bedeutung des Spieles für die Dorfgemeinschaft.
Die Vorbereitungen für die kommende Saison sind wahrscheinlich schon in vollem Gange?
Ja, absolut! Es ist eine intensive Zeit, aber die Vorfreude im Team und in der Gemeinde ist riesig. Die Passionsspiele sind ein echtes Gemeinschaftsprojekt, und wir alle arbeiten hart daran, wieder eine unvergessliche Aufführung auf die Beine zu stellen.
Was gehört alles zu Ihren Aufgaben als Spielleiter?
Ich trage die kreative und organisatorische Leitung. Von der Rollenvergabe über die Koordination der Proben bis hin zur Gesamtinszenierung bin ich verantwortlich dafür, dass alles reibungslos verläuft. Ich habe jahrelange Erfahrung im Theaterbereich, bekleide diese Funktion seit 2017 und weiß, was es bedeutet, ein Projekt in dieser Größenordnung umzusetzen.“
Sie spielen dieses Jahr selbst wieder mit. Welche Rolle übernehmen Sie?
Ja, ich spiele die Rolle des Kaiphas, des Hohepriesters. Diese Figur hat eine große Verantwortung und Tragweite innerhalb der Geschichte. In der Inszenierung zeige ich Kaiphas als jemanden, der Jesus als Bedrohung seiner Macht sieht. Es ist spannend, in so eine zentrale Rolle zu schlüpfen und das historische Drama für die Zuschauer lebendig werden zu lassen. Durch die Passion erlebe ich das ganze Geschehen auch persönlich intensiver und habe das Gefühl, tief in die Geschichte einzutauchen.
Die Erler Passionsspiele haben eine über 400-jährige Tradition. Welche Bedeutung hat das für die Dorfgemeinschaft?
Die Tradition ist für uns alle inspirierend und verbindet uns mit unseren Vorfahren. Die Passionsspiele reichen bis in das Jahr 1613 zurück, und es ist uns eine Ehre, diese lange Linie fortzuführen. Viele unserer Mitwirkenden stammen aus Familien, die bereits seit Generationen teilnehmen, was die Bindung an die Tradition und die Gemeinschaft verstärkt.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Gemeinde, insbesondere mit so vielen freiwilligen Mitwirkenden?
Die Passionsspiele sind nur möglich, weil das ganze Dorf dahintersteht. Über 500 Menschen spielen als Darsteller ehrenamtlich mit, davon etwa 80 in Sprechrollen. Zusätzlich haben wir einen Chor mit rund 30 Sängerinnen und Sängern und etwa 25 Musikerinnen und Musikern, die ebenfalls alle aus dem Dorf stammen. Alle arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin – das schweißt zusammen und stärkt das Gemeinschaftsgefühl nachhaltig.
Wie organisieren Sie die Mitwirkenden? Bei über 500 Teilnehmenden ist das bestimmt eine große Herausforderung.
In der Tat, die Organisation ist eine beachtliche Aufgabe. Bereits im Mai sind wir von Haus zu Haus gegangen und laden alle ein, die mitmachen möchten. Die freiwilligen Mitwirkenden werden dann in eine Liste aufgenommen, und wir verteilen die Rollen. Ab Herbst proben wir regelmäßig und im Januar beginnen dann intensivere Proben für die Hauptrollen. Dabei beginnen wir mit den Hauptrollen, in weiterer Folge werden immer mehr Sprechrollen integriert. Die verschiedenen Gruppen, wie die Apostel oder der Hohe Rat, proben an unterschiedlichen Tagen. So bringen wir Struktur in die Vorbereitung und können die Szenen zielgerichtet einstudieren.
Die diesjährige Aufführung ist eine Neuinszenierung. Was dürfen die Zuschauer erwarten?
2025 erwartet uns eine komplett neue Inszenierung, geleitet von Regisseur Martin Leutgeb, der das Drehbuch ebenfalls neu geschrieben hat. Martin Leutgeb ist ein vielseitiger österreichischer Schauspieler und Regisseur, der sowohl auf der Bühne als auch in Film und Fernsehen erfolgreich ist. Christian Kolonovits, ein bekannter Komponist, hat eigens für die Neuinszenierung die Musik komponiert. Zusätzlich gibt es ein beeindruckendes Bühnenbild und ein modernes Lichtdesign von Hartmut Schörghofer. Der gebürtige Salzburger ist ein renommierter Bühnenbildner und Regisseur, der an bedeutenden Theatern weltweit gearbeitet hat. Diese neuen Elemente verleihen der Aufführung eine frische Perspektive, die den Zuschauern vertraut ist, aber auch überrascht. Die Zusammenarbeit von Hartmut Schörghofer, Martin Leutgeb und Christian Kolonovits verspricht eine interessante und sehenswerte Aufführung, die das Publikum begeistern wird.
Warum sind die regelmäßigen Neuinszenierungen für die Passionsspiele so wichtig?
Das Ziel ist, die Thematik an den heutigen Zeitgeist anzupassen, damit die Geschichte aktuell bleibt. Viele Menschen sagen, sie hätten die Aufführung schon einmal gesehen, doch durch die Neuinterpretation mit wechselnden Perspektiven können wir Themen wie zum Beispiel die Rolle der Frauen und die Vielschichtigkeit im Hohen Rat stärker betonen. Dadurch wird die Erzählung lebendig gehalten und regt die Zuschauer zum Nachdenken an.
Der Umgang mit sensiblen Themen, wie die Rolle der Juden in der Passion, ist oft eine Herausforderung. Wie wird dies in Ihrer Inszenierung behandelt?
Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, an dem wir sehr bewusst arbeiten. Wir möchten einer weitverbreiteten Meinung entgegentreten, die stereotyp behauptet, die Juden hätten Jesus getötet. Unsere Inszenierung zeigt, dass es im Hohen Rat unterschiedliche Strömungen gab – einige Mitglieder sahen in Jesus eine Bedrohung, andere hielten ihn für den Messias. Diese differenzierte Darstellung soll Klischees vermeiden und die historische Realität so genau wie möglich widerspiegeln.
Das Passionsspielhaus spielt sicherlich eine besondere Rolle. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Das Passionsspielhaus wurde in den späten 1950er-Jahren errichtet und hat eine außergewöhnliche Architektur. Eine Heizung gibt es jedoch nicht, der Einbau wäre sehr kostspielig, deshalb können wir nur von Mai bis Oktober spielen, da es sonst zu kalt wäre. Die Instandhaltung des Hauses ist aufwendig, da immer wieder Renovierungen anstehen. Die Einnahmen aus den Passionsspielen sichern die Pflege des Gebäudes bis zur nächsten Spielsaison. Das Passionsspielhaus ist natürlich das Herzstück. Proben an kalten Wintertagen finden dann manchmal sogar im Skianzug statt. Dazu kommen die laufenden Instandhaltungen, wie etwa die Fassaden- oder Bühnenrenovierungen – das sind kostspielige Arbeiten. Mit den Einnahmen eines Spieljahres finanzieren wir die Instandhaltung des Hauses für die nächsten sechs Jahre bis zur nächsten Spielsaison. Interview: Volkhard Steffenhagen