Feldkirchen-Westerham – Für Roy Lemme (59) aus Feldkirchen-Westerham muss es ein berührender Moment gewesen sein, als sich im Mai 2017 die Fußballstars Philipp Lahm und Xabi Alonso in der Allianz-Arena in München von der Fußballbühne verabschiedet hatten. Schließlich nahmen beide einen echten Lemme mit nach Hause. Als Präsent des Clubs bekamen die Stars nämlich Bilder überreicht, die Lemme angefertigt hatte.
Nicht Pinsel und Aquarellfarben, sondern ein leistungsstarker Rechner, große Bildschirme und innovative Programme sind die Werkzeuge des Hobbykünstlers, der im normalen Berufsleben als Handelsfachwirt für ein Unternehmen bei München unter anderem Regaltechnik an die Kunden bringt. Als Ausgleich erschafft der Vater zweier Töchter in seinem Atelier im Keller des Reihenhauses in Feldkirchen-Westerham Kunstwerke. Und zwar ganz besondere. Denn Lemme macht sich künstliche Intelligenz (KI) zunutze.
„Habe als Jugendlicher viel gezeichnet“
Bereits in frühen Jahren hatte Lemme laut eigener Angaben seine künstlerische Ader unter Beweis gestellt. „Ich habe als Jugendlicher viel gezeichnet“, erzählt der 59-Jährige. „Vor allem Porträts und Fantasie-Dinger.“ Als junger Mann habe er dann die Fotografie für sich entdeckt – „noch mit Dunkelkammer und allem, was sonst noch dazugehört“. Für ihn sei das „ein Ausgleich zum Leistungssport“ gewesen. Auch im Bereich der elektronischen Musik tobte sich Lemme als junger Mann aus.
Eher zufällig sei er dann auf eine Kunstrichtung gestoßen, die ihm bislang letztlich seinen größten Erfolg eingebracht hatte: die Komposition sogenannter Mosaikbilder. Schnell war dem FC-Bayern-Fan klar, dass er ein absolutes Händchen dafür hatte, aus vielen unterschiedlichen Fotografien ein neues Bild entstehen zu lassen. Ein Talent, das ihm in den Folgejahren spektakuläre Aufträge einbringen sollte.
Wie beispielsweise der Auftrag seines Herzensclubs, des FC Bayern: So wurde er seitens des Klubs damit beauftragt, für den Abschied der Spieler Philipp Lahm, Xabi Alonso und Tom Starke Mosaikbilder anzufertigen, die die Spieler schließlich beim letzten Heimspiel der Saison 2016/2017 aus den Händen des damaligen FCB-Präsidenten Uli Hoeneß und Ex-Vorstandsvorsitzendem Karl-Heinz Rummenigge überreicht bekamen. Auch für den Audi-Konzern wurde Lemme aktiv: Für den Ingolstädter Autohersteller fertigte er ein Mosaikbild an, in dem die ganze Belegschaft verewigt wurde.
Aufmerksam geworden waren diese Auftraggeber wohl über den größten Coup des heute 59-Jährigen aus dem Jahr 2011: Damals ließen sich für den Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland bundesweit fast 11000 Menschen von Fotografen der Bild-Zeitung mit der legendären Bild-Schlagzeile „Wir sind Papst“ in der Hand ablichten. Aufnahmen, die Lemme schließlich zu einem einzigen Papst-Porträt zusammensetzte. „Da sind schon ein paar Tage Arbeit dringesteckt“, erinnert sich der Künstler zurück. „Zumal schon ein paar Spaßvögel dabei waren, die auf den Fotos die Zunge rausgestreckt oder den Stinkefinger gezeigt haben.“
Einen weiteren Wendepunkt im künstlerischen Wirken Lemmes brachte vor wenigen Jahren der Einzug von für alle Menschen zugängliche KI-Anwendungen in die digitale Welt. „Ich war da ziemlich gleich am Start, als in Internet-Gruppen zur Bildbearbeitung über KI-Anwendungen diskutiert worden ist“, sagt Lemme. „Mich hat es vor allem auch deshalb gereizt, weil die KI noch so viele Fehler gemacht hat.“ Denn dass er die KI-Ergebnisse noch weiterbearbeiten und somit seine Expertise einbringen konnte, „fand ich wirklich toll.“
Eine faszinierende und sich ständig weiterentwickelnde Welt, die ihn bis heute fesselt. So kann es durchaus passieren, dass der 59-Jährige in seiner Freizeit mehr als 30 Stunden am Stück in seinem Keller-Atelier verbringt, um an neuen Werken zu arbeiten. „Da stehe ich dann so unter Adrenalin, dass die Zeit wie im Flug vergeht.“ Er füttert die künstliche Intelligenz mit seinen Wünschen und Vorgaben, bis sie ein passables Ergebnis „ausspuckt“ und bearbeitet anschließend dieses Werk so lange weiter, bis es für ihn den Status der Perfektion erreicht hat. „Zum Beispiel, wenn bei den Bildern Handpositionen nicht natürlich aussehen“, erklärt Lemme seine Feinschliffe.
Das Endprodukt sind dann Bilder, die eine große Bandbreite abdecken: Von fantasievollen Szenen mit fast mystischem Charakter bis zu Schwarz-Weiß-Porträts, die auch kleinste Details in kompromissloser Schärfe zeigen. Eine weitere Spezialität des KI-Künstlers: „Gemälde“ im Stile der alten Meister oder aus dem „Goldenen Zeitalter“, die durch moderne Details sozusagen aus dem Rahmen fallen. Wie beispielsweise die Person, die auch aus dem Pinsel des Künstlers Vermeer stammen könnte – würde sie nicht ein modernes Smartphone in der Hand halten.
„Für mich ist die KI ein Werkzeug wie eben auch ein Fotoapparat“, sagt Lemme, der allerdings nicht verschweigen will, dass ihm das Thema künstliche Intelligenz auch große Sorgen bereitet. „Ein ganz großes Problem sind Fake-Bilder unter dem Deckmantel einer offiziellen Nachricht“, sagt der 59-Jährige, der es daher wichtig findet, dass KI-erzeugte Elemente, die nicht nur im privaten Bereich verwendet werden, auch als solche gekennzeichnet sind. „Das Problem ist letztlich nicht, dass jemand etwas mit KI macht. Sondern, dass es jemand bewusst als Lüge verbreitet.“ Was zu unabsehbaren Konsequenzen führen könnte. Was der zweifache Familienvater an einem Beispiel festmacht: „Ich wäre sicherlich in der Lage, ein Bild aus dem russischen Krieg zu manipulieren“, sagt der Feldkirchen-Westerhamer. Was dann schon wieder ausreiche, bei anderen Leuten, die dieses Bild für echt halten, „Hass zu schüren“. Daher könne er jedem Internetnutzer nur raten, „immer nachzuprüfen, was die Quelle ist.“
Internationale
Preise
Bei seiner Ausstellung „Neue Realitäten“, zu der Lemme am Wochenende, 15. bis 17. November, ins Boschnhaus lädt, geht es hingegen nicht darum, die Menschen zu täuschen, sondern durch die Möglichkeiten von KI zu verzaubern. Dabei werden unter anderem auch Werke zu sehen sein, für die er jüngst mit internationalen Preisen geehrt worden ist.