Pittenhart – „De Zeit is reif“, das stellte die Band „Schariwari“, die als „Pionier des bayerischen Folkrock“ gilt, schon Mitte der 1970er-Jahre fest – und monierte, dass „am End‘ das Geld die Welt regiert, schware Autos jetz‘ groß in Mode san und die Natur viele Tode stirbt“. Gereift ist der Mensch, so belegen es die Songtexte in bairischer Mundart, in diesen 47 Jahren des Bandbestehens nicht wirklich. Eher schon hat er das kultiviert, was ihm und seinem natürlichen Lebensraum am Ende schadet. Trotzdem war die Stimmung im Hilgerhof, in dem die Kirchseeoner Folkrock-Urgesteine mit ihren immer aktuellen Hits gastierten, mehr heiter denn wolkig.
„Wann lernen die Menschen miteinander leben, Tür an Tür?“, kommt der Refrain der Nummer mit Nachdruck als Frage aus tiefster Seele und lässt die Zuhörer kräftig schlucken. Naja, vielleicht genau so: Im gemeinsamen Kulturgenuss, in der Musik, in reflektierten Texten – da bekommt man Anstöße, singt und groovt miteinander – ein Hoch auf die Kultur, die uns einander näherkommen lässt.
Wenn auch die bittere Heiterkeit der teils gesellschaftskritischen Texte von damals im Heute ein trauriges Echo findet – auch oder gerade weil sie verdeutlichten, wie wenig sich doch seit dem Frühjahr 1977, als Hans Reupold und Günther Lohmeier erstmals auftraten, geändert hat. Der Mensch sei „ein Depp, sei sein eigener Schlächter, der im eigenen Wohlstandsmüll erstickt“, heißt es in „Kirchseeoner Frösche“: Worte, deren Wahrheitsgehalt im krassen Gegensatz zum eingängigen Wohlklang des mehrstimmigen Gesangs zur handgemachten Musik wirken. Es wundert nicht, dass diese Band mehrere hoch dotierte Preise gewann.
Die kleine Hilgerhof-Bühne machte es möglich, dass die Zuhörer den bayerischen Altrockern ganz nah kamen und, weil ein Schariwari-Klassiker auf den nächsten folgte, war leicht mitzusingen und -grooven. Die Band genoss die Publikumsnähe – neben Bandleader Günther Lohmeier standen drei langjährige Weggefährten vor dem Publikum: Franz Meier-Dini am Bass, Rudi Baumann an der Gitarre und Stevie Moises an Schlagzeug und Percussion.
Beherzt und inbrünstig „performten“ die vier, auf eine Art, die berührt und begeistert. Im immer harmonischen, mehrstimmigen und instrumentalen Zusammenklang wirkt Schariwari so gar nicht gestrig. Kraftvoll, spiel- und musizierfreudig führten sie ihre Zuhörer mit ihren gesungenen Geschichten aus der November-Nebelsuppe hinaus. Die Gäste ließen sich gerne mitnehmen in die Schariwari-Welt aus gesungenen Geschichten, lauschten den zu Liedern gemachten schönen oder weniger angenehmen Erfahrungen, die so oder so ähnlich wohl viele selbst schon erlebt haben.
Das Lied „Drachen“ kann als Hymne an die heilende Kraft der Fantasie und den Glauben an Magie gelten, die mit innerer Leichtigkeit dem Weltschmerz entgegenwirkt. Fröhlich kommt „Sommernacht“ daher, satt angereichert mit Natur- und Heimatliebe und einem Rhythmus, der lustig stimmt. „Der Mensch geht vor“ erzählt in treibenden Rhythmen mit sozialkritischen Untertönen von Umweltzerstörung, Aufrüstung und rücksichtslosem Umgang mit der Natur. Damit die Zuhörer nicht die g‘schmackige Würze des Humors oder tiefer Emotionen missen müssen, gab es auch was fürs Herz: „I brauch di zum Lebn“, „Lass de Sonna“ oder ein wirklich anrührendes Lied, das vom schmerzlich bereuten Seitensprung mit der Freundin des besten Freundes erzählt: „Seit gestern Nacht“.
Ein Höhepunkt am Konzertende war die Nummer „Gemeinsamkeiten“: Vier großartige Musiker boten mit einfachen Mitteln ein unvergesslich menschliches Kollektiverlebnis. Ein Schaumbad für die Seele. Kirsten Benekam