Rosenheim – „Ich mache keine Lesung, sondern einen Schnelldurchgang durch Goethes Leben als Naturforscher“. Mit diesen klärenden Worten begrüßte Stefan Bollmann die zahlreichen Zuhörer im Künstlerhof am Ludwigsplatz. Bollmann ist Autor des Bestsellers „„Der Atem der Welt“ – Johann Wolfgang von Goethe und die Erfahrung der Natur“. Der promovierte Germanist sprach auf Einladung der Goethe Gesellschaft Rosenheim.
Dichterfürst
als Naturforscher
Bollmann gelang es mühelos, das Publikum mit seinem lebendigen Vortrag und seiner sympathischen Ausstrahlung zu fesseln. Den Schwerpunkt seiner Biografie hat er auf Goethes lebenslange Auseinandersetzung mit der Natur gelegt. Goethes Geist, zitierte Bollmann einen Zeitgenossen des Dichters, sei „eigentlich zum Naturforschen angewiesen“ gewesen: „Überall Systematik, Ordnung, Logik in Vers und Prosa.“.
Geschockt habe den jungen Goethe das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755. Diese Katastrophe zeigte, dass der Mensch auch im Zeitalter der Aufklärung der Natur hilflos ausgeliefert ist. Die Nachricht vom Erdbeben verbreitete sich über Zeitungen in der ganzen Welt. Goethe fragte sich, wie der liebe Gott so etwas zulassen könne. Zu Hause baute er einen Altar und brachte Opfer, um die Götter gnädig zu stimmen.
„Goethe war immer ein genauer Beobachter“, so Bollmann. Interessiert hätten ihn die Kreisläufe in der Natur mit ihren Zyklen der Tages- und Jahreszeiten. Reisen Goethes nach Italien zeigten in Beschreibungen und Skizzen seinen Forscherdrang und seine präzise Wahrnehmung. So habe er, als er vom Ausbruch des Vesuvs hörte, den Vulkan gleich mehrfach bestiegen.
Gegenüber der Natur, die zugleich schön war, aber auch eine Bedrohung darstellte, entwickelte Goethe einen starken Selbstbehauptungswillen. Immer habe er die Hintergründe einer Sache erforscht. Der Bergbau von Ilmenau inspirierte ihn dazu, sich mit der Erdgeschichte zu beschäftigen. Goethe forderte die Natur heraus, bestieg bei Eis und Schnee den Brocken und kraxelte in der Schweiz auf Gletschern herum. „Goethe blieb am Leben“, so Bollmann, was gezeigt habe, dass er der Natur gewachsen sei.
Einen Namen machte sich Goethe als ein Entdecker des Zwischenkieferknochens, interessiert habe er sich für die Urpflanze, ein Modell für die Metamorphose der Pflanzen. Wichtig war ihm auch die Wahrnehmung von Farben. Er untersuchte farbige Schatten, die ihn faszinierten.
„Alexander von Humboldt, mit dem er in Jena zusammen traf, sei für Goethe „sexy“ gewesen, so Bollmann etwas salopp. Auch Humboldt verehrte Goethe, der ihm den Gesamtzusammenhang der Natur nahe gebracht habe. Humboldts Zeichnung von Klimazonen am Chimborazo regten Goethe seinerseits zu einer Skizze seiner Naturerfahrung mit stimmigen Größenverhältnissen der Berge an. Schließlich interessierte sich der Dichter auch für Meteorologie, die damals noch in den Anfängen war.
Die Erde als
Lebewesen gedacht
„Goethe hat sich die Erde als ein Lebewesen gedacht“, resümierte Bollmann. Natur sei eine Veränderung, die einer bestimmten Gesetzmäßigkeit folgt. Die Erde reguliere die Bedingungen ihrer Existenz selbst. Geplant hatte Goethe einen Roman über die Erde, den aber erst Humboldt als Entwurf einer physischen Weltbeschreibung unter dem Titel „Kosmos“ verfasste.Georg Füchtner