Prien – „Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!/ Bin Freund und komme nicht zu strafen./ Sei guten Muts! Ich bin nicht wild, sollst sanft in meinen Armen schlafen!“. Das Gemälde mit diesem Gedicht des großen deutschen Dichters Matthias Claudius zählt zu den Schlüsselwerken der Chiemgauer Künstlerin Dorothea Stefula. Es zeigt das Sujet des Todes und des Mädchens.
Wer jemals das Glück hatte, abseits von den touristenströmen im Priener Ortsteil Osternach, in einem kleinen Zauberhäuschen, versteckt zwischen Schilf, Stauden und Obstbäumen, zum Tee (mit französischem Cognac) eingeladen worden zu sein, dem wird dieses Erlebnis unvergessen bleiben. Tee bei den Stefulas.
Geheimes
Schatzkästchen
Der Hausherr György patriarchalisch im Lehnstuhl, die Hausfrau, hamburgisch distanziert, aufs Freundlichste servierend und umsorgend. Ein angeregtes Gespräch über kulturelle Ereignisse, eine Diskussion über Ausstellungen in Frankfurt, Berlin und Paris. Der neueste Ausstellungskatalog aus München greifbar auf dem Kaminsims und anschließend ein Blick in das Atelier des Künstlers, das der Gattin war zeitlebens verschlossen wie ein geheimes Schatzkästchen. Wer all dies erleben durfte, der wusste, das irdische Paradies befindet sich hier am Chiemsee. „Stefulas Paradiese“ war auch das Buch benannt, das 1989 im Prestel-Verlag München erschien. Die Priener Ausstellung nennt sich nun „Paradise Lost“, denn war es wirklich ein Paradies?
Drei große Ausstellungen in der Galerie im Alten Rathaus, wurden den Stefulas durch den Markt Prien gewidmet: 1997 zu Lebzeiten der beiden Künstler, 2003 als Retrospektive unter dem Titel „Stefulas Paradiese“ und 2013 unter dem Titel „Stefulas Traumwelten“.
Drei Ausstellungen in denen das Werk György Stefulas dominierte, drei Ausstellungen in denen das Werk von Dorothea Stefula immer den zweiten Rang einnahm.
Auch wenn die „naive“ Kunst der Beiden – den Ausdruck lehnten sie ab und bezeichneten sich lieber als magische oder poetische Realisten – an sich untrennbar miteinander verbunden ist, wird nun erstmals Dorothea Stefula mit ihren kleinen Kostbarkeiten alleine der Platz eingeräumt, den sie als feinsinnige Meisterin des Stilllebens und des Interieurs verdient. Und es soll auch ein neuer Zugang zu ihrem Werk ermöglich werden. Ein neuer Zugang, der sich alleine durch die genaue Betrachtung ihrer Arbeiten ergibt. Denn eines ist sicher falsch: Die Arbeiten von Dorothea Stefula zeigen keine heile Welt.
1997 führte Györg Stefula in einem Interview mit dem Oberbayerischen Volksblatt aus: Wenn meine Bilder und die meiner Frau auch verschont sind von den Problemen, so kennen wir sie doch, die Probleme dieser verrückten Zeit. Wir sehen jedoch die Möglichkeit, ein Stück heiler Welt zu erhalten.“ Das mag für die Werke Györgys gelten, doch gilt das auch für die Arbeiten von Dorothea Stefula?
Geboren wurde Dorothea Hüter am 2. Februar 1914 in Hamburg. Nach ihrem Studium an der Landeskunstschule Hamburg arbeitete sie als freiberufliche Kinderbuchillustratorin. 1940 heiratete sie den Künstlerkollegen György Stefula mit dem sie drei Kinder großzog. Ab 1943 am Chiemsee ansässig, ab 1955 in Prien, entstanden hier zumeist kleinformatige Miniaturen in einem altmeisterlichen Malduktus. Ihre Vorliebe galt dem Kleinen, dem Unscheinbaren, dem Zerbrechlichen, bei Dingen und bei den Menschen. Dorothea Stefula verstarb am 27. Dezember 1997 in Prien. So kurz zu Ihrer Biografie.
Schon der Begriff „Kinderbuchillustratorin“ gibt die Richtung vor, in der ihre Arbeiten immer wieder beurteilt wurden. Es wurde immer oberflächlich darüber hinweggesehen, dass ihre idyllischen (schon wieder so ein Wort) Bilder immer kleine Verletzungen aufweisen. Dorothea Stefula wusste um die Wirklichkeit dieser Welt. Ihre Arbeiten sind geprägt von großem Empfinden. Glück bedeutete für sie Lebensfreude, aber auch Trauer und Trost. Sie zeigt Unbedeutendes, den Wert des Alltäglichen, das kleine Glück das in der Stille blüht.
„In ihrer spezifischen Bildersprache, voller Poesie und Sanftheit fehlt aber letztlich das kindlich Unbefangene und das kindlich Unbewusste“ wie es der Rosenheimer Kulturjournalist Raimund Feichtner richtigerweise einmal ausgedrückt hat.
Schon die frühen Arbeiten aus den 1950er-Jahren mit ihren feingliedrigen Wesen in zartem und durchscheinendem Inkarnat findet sich die Einsamkeit, die Verlorenheit des einzelnen Individuums in einer vermeintlich heilen Welt. Die auf den ersten Blick unaufdringlichen, symbolträchtigen Stillleben und Fensterausblicke, die nostalgische Familienidyllik erweist sich bei genauerem Hinsehen als wehmütig und ironisch. Das Glück des Alltäglichen und derer die sich damit beschäftigen zeigt einen Schimmer von Melancholie und vor allem als empfindsam inwendig. Es ist die kleine Welt der Dorothea Stefula, leicht verträumt, sympathisch bescheiden und detailreich illustriert.
Vom Tod sanft
umschlossen
Der Liebhaber ihrer Bilder dankt es ihr. Er dankt es ihr, dass der Tod das Mädchen unerbittlich aber sanft umfängt, so sanft, dass dem Betrachter der Ernst der Szene kaum bewusst wird. Und so sind wir wieder bei Matthias Claudius und beim „Paradise Lost“ Die Retrospektive in Prien dauert noch bis zum 12. Januar und ist täglich von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Silvester geschlossen, Neujahrstag und Heilige Drei Könige geöffnet.Karl J. Aß