Erl – Die erste Saison von Jonas Kaufmann als Intendant der Tiroler Festspiele Erl war erfolgreich: Eine 94-prozentige Auslastung wird gemeldet. Er sei nun in Erl angekommen, sagte Jonas Kaufmann. Beim Abschlusskonzert sah und hörte man auch, dass der neue Chefdirigent Asher Fisch sein Orchester erobert hat: Mehrfaches Füßegetrappel und Geigenbogengeklimpere am Konzertende für ihren Dirigenten belegen dies.
Nicht zuletzt belegt auch das künstlerische Ergebnis das gute Einvernehmen. Die „Metamorphosen“ von Richard Strauss sind für 23 Streicher geschrieben. Auf diese ausgewählten 23 Streicher konnte sich Asher Fisch 100-prozentig verlassen. Sie folgten seinen anfeuernden und anheizenden Bewegungen blindlings und verstärkten sie selber noch als Klang zu glühender Intensität, immer voll vibrierender Spannung, immer von Neuem aufquellend, wie wenn immer wieder Blut aus einer offenen Wunde rinnt. Weniger resignative Trauermusik war dies als eher blutvoll-lebendige Musik.
Immer wieder wird konstatiert, dass Strauss sich bei seinem Hauptthema vom Trauermarsch aus Beethovens „Eroica“ inspirieren hat lassen. Dessen herabgleitender Duktus erinnert aber fast noch mehr an Bachs „Matthäuspassion“, nämlich an die Alt-Arie „Es ist vollbracht“. Die Parallele dieser Leidensgeschichte Jesu zum Leiden von Strauss selbst, zur Trauer über die Zerstörung der Kulturstätten im Zweiten Weltkrieg, liegt nahe – auch wenn Strauss an der geistigen Vorbereitung nicht ganz unschuldig war als zeitweiliger Präsident der Reichsmusikkammer.
Vollends lebendig wurde es beim Konzertstück für Klavier und Orchester von Carl Maria von Weber. Die Pianistin Jasminka Stancul riss mit ihrem ersten Einsatz energisch die Führung an sich, die ihr Asher Fisch gerne überließ. Immer wieder suchte die Pianistin Blickkontakt zum Orchester, um sich (oder das Orchester?) rhythmisch partnerschaftlich einzuordnen, brillierte mit hochvirtuosem Glanz, rhythmischem Feuer und melodischem Überschwang, holte viele Klangfarben aus dem Fazioli-Flügel heraus, legte Sehnsucht auch in die Triller, die viele Melodien anfüllen, und ließ bisweilen die linke und die rechte Hand in rasend schnellen Skalen aufeinander zustürmen wie Liebende, die sich nach langer Abwesenheit wieder treffen. So ist ja auch das Programm dieses Stücks: Trennung und Wiedervereinigung.
Den Marsch, eine der herrlichsten Eingebungen Webers, ließ Fisch mit seinen Musikern federnd-freudig wie einen österreichischen Marsch tanzen. Den aufbrandenden Applausjubel beantwortete Jasminka Stancul mit dem As-Dur-Impromptu op. 142/2 von Schubert: lebendig strömend phrasiert mit wirkungsvoll platzierten winzigen Spannungsritardandi und mit einer wie in Erinnerungswehmut versunkenen Wiederholung des Anfangs.
Immer
schwingend
Schumanns vierte Symphonie dirigierte Asher Fisch auswendig und mit großem Körpereinsatz. Mit Erfolg: Alles kam schwellend und singend mit energisch durchpulster Achtelfigur in den Geigen und lebensfroh aufblitzenden Holzbläsern, auffordernden Posaunenstößen und vollem Blechbläser-Pathos im Finale, alles schwungvoll und immer schwingend. Fisch modellierte sorgfältig die Charaktere der einzelnen Sätze heraus, die ja trotzdem pausenlos ineinander übergehen. In großer Ruhe erklang die Romanze mit dem Geigensolo des famosen Konzertmeisters, im Scherzo herrschte Beethoven‘sche Wucht und Grellheit: Alles atmete Lebensfreude pur. Großer Jubel im ausverkauften Festspielhaus – auch Asher Fisch ist in Erl angekommen.