Erl – Das Wetter hätte eher zu Schuberts „Winterreise“ gepasst, doch auf dem Programm stand „Die schöne Müllerin“. Der neue Intendant Jonas Kaufmann hat als antithetisches Motto „Neu bleiben“ gewählt. So ist auch wieder die Musicbanda Franui aus dem osttirolerischen Innervillgraten dabei, die schon zur DNA der Tiroler Festspiele Erl gehört, das Ensemble und Spezialist für traurige Musik.
Szenisches
Spiel
Der musikalische Leitgedanke des Ensembles – nach den Worten des Gründers und Leiter der Truppe, Andreas Schett – ist: „Wenn man einen Trauermarsch viermal so schnell spielt, wird er zu einer Polka.“ Für Schuberts Liedersammlung über einen unglücklich verliebten Müllersburschen hat Franui sich dafür mit dem Bassbariton Florian Boesch und mit dem Puppenspieler Nikolaus Habjan verbündet.
Rechts auf der Bühne liegt auf einem Podest ein weißgekalkter Totenschädel, in der Mitte steht ein Kleiderschrank, der später zum Sarg wird, links ein schwarz verhängter Stuhl. Zwei Puppen spielen das Spiel von der Liebe, dem Bach und dem Tod: eine Halbpuppe mit einem weißen Schädel, der mit einer Glatze dem von Florian Boesch gleicht: der Sänger. Eine Frauenpuppe, die mit ihrem weißen Leichenhemd und den herabhängenden Zottelhaaren wie ein Todesengel wirkt: die Müllerin. Die fehlenden Arme der Sängerpuppe ersetzen Habjan (mit weißen Handschuhen) oder Boesch im Wechsel.
Aus dem nur vom Klavier begleiteten einsamen Monolog in Schuberts Urfassung wird so ein orchestrierter szenischer Dialog, der es ermöglicht, dass der Sänger gleichsam aus seiner Figur heraustritt und über seine Gefühle von außen philosophiert, außerdem ermöglicht er dem Sänger „die körperliche Darstellung bestimmter Aspekte“, wie Nikolaus Habjan im Programmheft sagt: ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Puppen- und ausgeklügeltem Lichtspiel.
Das Anfangs-Wanderlied pfeifen, singen und spielen alle gemeinsam, das Akkordeon schärft den munteren Wanderrhythmus. Auch die Rhythmen aller anderen Lieder werden mit Franui schneller, oft gehetzter. Alles wird dramatisch aufgeheizt, ja überhitzt, die gesungene Gefühle, Schuberts „Schluchzen und Singen“, wie’s im vorletzten Lied heißt, wird vergrößert und auch vergröbert. Andreas Schett und Markus Kraler als Komponisten reichern die ursprüngliche Schubert’sche Musik mit wildschrägen, schaurig-heiteren, oft sich bitter reibenden und todeswehmütigen Klängen an, deren Septakkorde ins Herz schneiden. Die oft gestopften Bläserklänge hören sich wie verhaltenes Schluchzen an, die Walzer- und Landler-Rhythmen mutieren zu apokalyptischen Todeswalzern.
Allerdings ist die Gefahr der emotionalen Überfrachtung von Schuberts Liederzyklus nicht immer gebannt. Und ein großes Manko stört: Der Sänger ist ein junger Bursch. Wenn ein Sänger „nur“ singt, kann er seine Stimme jugendlich-heißblütig machen. Wenn’s szenisch wird, sollte die Szenerie auch passen. Aber Florian Boesch ist sichtlich ein gealterter Bursch mit einer gewaltigen Bassstimme, die mittels des Mikrofones noch drohender dröhnt.
Empfindungsreicher
Gesang
Auch wenn er alles mit außergewöhnlich gut geführtem Bass sehr empfindungsreich singt und außergewöhnlich wortgenau artikuliert, sogar dies-Laute in einem dreifachen „s“ („Lass singen“) trennt, steht doch der Augenschein konträr zum gesungene Geschehen. Und wenn Boesch in tiefster Basslage am Ende in „Des Baches Wiegenlied“ den „Himmel da oben“ besingt und nicht mal in die Nähe der Kopfstimme kommt, ist die Wirkung dieser fragilen Stelle dahin. Dafür ist es herzinniglich traurig, vielleicht aber auch tröstlich, wenn ein paar Franui-Mitglieder das hoffnungsvolle am Himmel erblinkende Sternlein herbeisingen.
Der Text war zur besseren Orientierung auf dem Leuchtlaufband mitzulesen, so konnten die Zuhörer im ausverkauften Festspielhaus mit dem Sänger mitleiden und -bangen – was sich in tobendem Schlussapplaus entlud.