Rosenheim/München – Der wohl bedeutendste deutsche Bebop-Pianist Claus Raible kehrte nach Lebensstationen in Graz, Wien und New York kurz vor der Jahrtausendwende wieder nach München zurück. Schon bald schlug er im Rosenheimer Jazz-Wohnzimmer „Le Pirate“ auf und sorgte mit US-amerikanischen Weggefährten, aber auch Kollegen aus der Grazer Zeit für internationale Höhepunkte im Rosenheimer Konzertgeschehen. Auch wenn Claus Raible bereits in New York sein eigenes Sextett und Bebop-Orchester mit Eigenkompositionen und eigenen Arrangements unterhielt, musste erst die Corona-Zwangspause kommen, um eine CD mit ausschließlich Eigenkompositionen entstehen zu lassen. Am Mittwoch, 29. Januar, präsentiert er sein Album „Fugitive Figures“ im „Le Pirate“.
Sie sind seit Ende der 1990er-Jahre etliche Male mit deutschen und internationalen Musikerkollegen im Le Pirate aufgetreten. Was zieht US-Amerikaner auf Europatournee gerade in diesen kleinen Club?
Nun, erst einmal ist es halt einfach leiwand, hier zu spielen. Die familiäre Atmosphäre, die Nähe zu einem fachkundigen Publikum, die ungeteilte Aufmerksamkeit, die man hier als Musiker erlebt, stiftet einfach ein Live-Erlebnis, das allen Musikern sofort gefällt und das im Gedächtnis bleibt. Und das spricht sich auch am anderen Ufer des großen Teichs herum. Außerdem kommt das Publikum mit den relativ unattraktiven Tagen Mittwoch und Sonntag den Künstlern sehr entgegen. Manchmal sind die Abende im Le Pirate auch einfach Gelegenheiten, alte Weggefährten musikalisch wieder zu treffen.
Ein paar Beispiele?
Claus Koch oder die beiden Sängerinnen Anna Lauvergnac und Annette Neuffer. Wir kennen uns schon seit der Studienzeit und sind uns immer wieder im Le Pirate mit verschiedenen Projekten begegnet. Kürzlich war ich mal mit Xaver Hellmeier zu Besuch im Le Pirate, um Roman Schwaller mit dem Valentin-Schuppich-Trio wieder zu treffen.
Auch mit Michael Keul und seinen Samerberger Ensembles sind Sie immer wieder dabei.
Michi Keul hab ich erst nach meiner New Yorker Zeit kennengelernt. Wenn mich nicht alles täuscht, war das allererste Konzert mit den Samerbergern ein Bebop-Programm mit Stücken von Thelonious Monk. Monk hat mich neben Powell und Hope wohl am nachhaltigsten geprägt. Ich durfte damals am Piano mitwirken. Bei einem der vielen Gigs mit der US-Sax-Legende Brad Leali, der damals in meinem New Yorker Ensemble mitspielte, war im Le Pirate ein gewisser Valentin Preißler als Zuhörer anwesend. Ich denke, er war noch keine zehn Jahre alt. Ich erinnere mich noch an seine Faszination von Brads Saxofonspiel und der persönlichen Begegnung der beiden nach dem Konzert. Solche Begegnungen gibt es nur in solch kleinen Clubs und sie sind manchmal für Künstlerbiografien Weichen stellend. Später wirkten die Rosenheimer Leo Betzl und Sebastian Wolfgruber als Studenten in meinen Ensembles an der Musikhochschule in München mit.
Bereits während des Studiums in Graz haben Sie mit großen Namen wie Art Farmer, Andy Bey oder Mark Murphy zusammen gespielt. Was zog Sie damals nach New York?
Ja, mit Art Farmer durfte ich schon während meiner Studienzeit zwei Tourneen spielen. Auch Mark und Andy haben mich sehr geprägt. 1989, also auch noch als Student, konnte ich auf dem Montreux-Jazz-Festival auftreten. Aber ein Studium, alleine im akademischen Rahmen, das konnte meine Sehnsucht nicht stillen. Ich wollte an den Ort, an dem meine Musik entstand. Durch das Hören, das Erleben, das Begegnen auf der Bühne wollte ich lernen. Nur so konnte ich der spirituellen Tiefe des Bebop auf den Grund gehen. Und nur durch die aktive Auseinandersetzung konnte ich meinen eigenen Stil entwickeln.
Sind Kontakte aus der New Yorker Zeit geblieben?
Ja, ich habe noch zahlreiche Kontakte in den USA. Mit Brad Leali verbindet mich eine tiefe Freundschaft. Brad kommt immer wieder nach Deutschland auf Besuch. Ich denke, Ende 2025 werden wir beide auch wieder im Le Pirate zu hören sein. Aber auch Charles Davis, Alvester Garnett und Darrell Green waren immer wieder im Le Pirate und sie sind Freunde aus meiner New Yorker Zeit.
Warum brauchte es erst die Corona-Zeit, um eine CD mit Eigenkompositionen zu veröffentlichen?
Ich habe immer wieder viel komponiert und arrangiert. Viele Motive und Themenfragmente auf der CD sind auch aus der Zeit davor. Aber ich betrachte mich nicht so sehr als einen Komponisten im klassischen Sinne. Meine Kompositionen sollen sich im Zusammenspiel mit anderen Musikern organisch entwickeln. Um jedoch die Stücke für eine komplette CD aufnahmereif auszuarbeiten brauchte ich wohl die Ruhe und Zeit der Corona-Zwangspause.
Interview: Wolfgang Lentner