Prien – „Glas Klang Farbe. Florian Lechner – Fritz Harnest“ lautet der Titel der Ausstellung, die noch bis 11. Mai in der Galerie im Alten Rathaus zu sehen ist. Kuratiert von der Kunsthistorikerin Ute Gladigau vereint die Schau Glaskunst, Klangwelten und eine befreite, lebendige Farbigkeit in einer außergewöhnlichen Konstellation.
Der Maler und Grafiker Fritz Harnest (1905 bis 1999), ein bedeutender Vertreter des deutschen Expressionismus, entwickelte nach 1945 eine eigene abstrakte Formensprache, die er in großformatige Ölbilder, farbenfrohe Holzschnitte und Collagen übertrug. Florian Lechner (Jahrgang 1938) lotet die Grenzen der Belastbarkeit und Realisierbarkeit des fragilen und zerbrechlichen Werkstoffes Glas aus. Er entwickelt ein breites Spektrum der Glaskunst, von architektonischen Werken zu Glasskulpturen und Klangobjekten.
Nicht nur
ideell verbunden
Dass die beiden Künstler nicht nur ideell miteinander verbunden sind, sondern auch über ihre Familiengeschichte, erfährt man im Erdgeschoss der Galerie. Dort ziert eine Vitrine Holzspielzeug, das Fritz Harnest für den damals vierjährigen Florian Lechner in den Wirren des Zweiten Weltkriegs bemalt hat. Eine andere Vitrine zeigt Briefe von Professorin Irmgard Lechner (Cembalistin und Mutter von Florian Lechner), die von wertschätzenden und unterstützenden Verbindungen, unter anderem mit Mitgliedern der Weißen Rose, in Zeiten des Widerstands berichtet. Die Ausstellung beleuchtet also nicht zuletzt die Frage, ob und wie Kunst Haltung und Erinnerung bewahren kann.
Und doch ist es nur ein Bruchteil der großen Werkschau der beiden Chiemgauer Künstler, die sich auf drei Ebenen den Besuchern öffnet. War Harnest noch anfangs vom Expressionismus (wie im Bild „Alter einbeiniger Bauer“) und dem Kubismus im Stile eines George Braque oder Pablo Picasso inspiriert, so kommen in späteren Schaffensperioden Holzschnitte, Collagen und Ölbilder hinzu, die von der griechischen Mythologie (wie „Aidos“) oder der Musik beeinflusst sind. Inspiriert von den Bagatellen von Ludwig van Beethoven entstanden „Die Bagatellen“ – farbenprächtige Collagen auf Carton – oder „Freie Klänge“ – Holzschnitte auf Japanpapier. Nicht minder gefangen nehmen Harnests „Moments Musicaux“, zu denen er sich von Musik von Johannes Brahms, Franz Schubert und Olivier Messiaen hinreißen ließ und die unschwer die jeweilige Stimmung und Epoche in Farbe und Form widerspiegeln.
Harnest war Synästethiker, wie man unschwer erkennt. Harnest konnte also den Klang der Farbe hören und war vom Zusammenwirken von Malerei und Musik überzeugt. Farbe, Bewegung, Emotion und Empfindung gehen so bei Harnest Hand in Hand.
Ähnlich ist es bei Florian Lechner. Er bringt seine Kunstwerke aus Glas zum Klingen, denn Glas ist für ihn die Materie, die das Licht sichtbar macht. In seinen frühen Schaffensjahren gestaltete er beispielsweise Glasfenster der Pauluskirche in Marburg („Glasbild“, eine Bleiverglasung in Holzfassung, ziert einen Raum), dann kamen diaphane Wände hinzu. „Der grüne Raum“ ist ein Rondell mit drei übermannshohen grünen Tafeln aus Schmelzglas. Später entwickelte Lechner die Schmelzglas-Technik, das sogenannte Fusing. Durch den Schmelzvorgang wird die Starrheit des Materials aufgehoben, es wird weich, formbar, legt sich über feuerfeste Formen. Nach dem Erkalten enthüllt das Glas Formen und Figuren.
Auf ein kleines Modell einer gläsernen Lichtsäule – die sechs Meter hohe Original-Säule ziert heute die Zentralbibliothek in Regensburg – stößt man gleich im Eingangsbereich. „Gaia“ präsentiert sich als am Boden liegender geborstener Torso aus Glas. Direkt daneben läuft ein Video, das den Schaffensprozess des Zerberstens zeigt: Äußere Einflüsse und innere Spannung, die das Glas zum Bersten bringen, aber so auch neue Interpretationsmöglichkeiten schaffen. Große Schalen wie „Klingendes Orange“ oder „Ego-Echo“ im Zentrum des großen Saals im zweiten Stock, alle durch Fusing entstanden, wirken schon allein durch ihre Transparenz überirdisch schön.
Dass Glas auch Klang erzeugen kann, führte Lechner bei der Vernissage vor. Doch auch ohne Konzert verzückt die Anmut der lichtdurchlässigen raumhohen Schmelzgläser, deren Schimmern unhörbare Melodien erzeugt. Zwei Künstler, die eigenständig agieren, für die der Klang aber ein wichtiges, verbindendes Element ist – für Lechner ist es Glas und Klang, für Harnest Farbe und Klang. Zwei Künstler, deren Familien freundschaftlich verbunden waren und sind. Eine umfassende Betrachtung und Werkschau wird jetzt zum ersten Mal in Prien vorgestellt. Ein Besuch ist dringend angeraten.