Das Spiel mit der Wirklichkeit

von Redaktion

Uraufführung von „Karpfen schwimmen zwœlf“ im Tam-Ost Rosenheim

Rosenheim – Komisch, skurril, absurd – so in etwa ließe sich das Stück „Karpfen schwimmen zwœlf“ von Sebastian Huber beschreiben, das am Samstag im Tam-Ost uraufgeführt wurde (Regie: Tobi Huber). Fünf Darsteller, ein Bühnenbild und eine vermeintlich simple Prämisse: Zwei ältere Herren treten durch Vermittlung einer gewissen Melanie Merkenthal (Katl Herrmann) in Kontakt und treffen in der Wohnung des einen zusammen, um ein musikalisches Stück einzustudieren.

Bruch mit den Erwartungen

Doch schon mit der ersten Szene bricht die Inszenierung mit jeder narrativen Logik und Erwartung. Protagonist Ufe Friese (Sebastian Huber) – wohlgemerkt mit f geschrieben – steht bereits auf der Bühne, während das Publikum noch seine Plätze sucht. Weder wird der Zuschauerraum langsam abgedunkelt, noch öffnet sich ein Vorhang. Stattdessen setzt die Handlung einfach ein, in medias res, als sei Ufe nicht Figur eines Theaterstücks, sondern eine reale Person, die man zufällig beobachtet. Auch Thorsten Emm (Gerd Meiser), der Ufe in seiner Wohnung aufsucht, erscheint nicht durch einen Bühneneingang, sondern platzt polternd durch eine der Zuschauertüren herein.

Die Interaktionen der beiden sind so skurril wie amüsant. Mitunter vergehen gefühlt Minuten, ohne dass ein Wort gesprochen wird – stattdessen verlieren sie sich in hektischen, ziellosen Handlungen. Ihr ursprüngliches Vorhaben, gemeinsam „Also sprach Zarathustra“ auf Trommel, Zither und Ziehharmonika zu spielen, gerät dabei immer wieder in Vergessenheit. In den unvorhersehbarsten Momenten wird das Fenster auf- und zugeschlagen, Adelholzener Johannisbeersaft getrunken, in Gesang ausgebrochen oder in pseudophilosophische Überlegungen abgeschweift. Ein Karpfen schwimme 12 km/h, der beste Schwimmer der Welt hingegen nur 7,5. „Die Hybris des Menschen: Langsamer als ein Karpfen und gleich Olympiagold.“

Viel Zeit vergeht auch mit der Essenszubereitung: Ufe stopft Weißwürste in einen Wasserkocher, wo sie über die Hälfte des Stücks vor sich hinsimmern. Als sie schließlich gegessen werden, wird das Schauspiel zur Groteske – mit den Fingern verspeisen sie die Würste, ziehen die Haut mit den Zähnen ab, Thorsten droht kurzzeitig daran zu ersticken, bevor er sich schließlich Hände und Mund am Vorhang abwischt.

Vieles wirkt auf das Publikum rätselhaft, der Dialog bleibt nebulös. Zwar gibt es eine Moderatorin (Martha Hermann), die erzählerisch durch das Geschehen führt, und eine Stimme (Christine Heimannsberg), doch tragen sie keineswegs zur Klärung bei – im Gegenteil. Sie greifen in das Geschehen ein, verzerren die Handlung weiter, statt sie zu ordnen. Wenn man überhaupt von einer Handlung sprechen kann. Denn eigentlich existiert sie kaum.

Vielmehr verkörpert die Inszenierung, wie es der Untertitel beschreibt, einen „Zustand“. Einen Zustand, in dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Schauspiel und Authentizität, Bühne und Zuschauerraum, Innen- und Außenwelt, Wahrheit und Illusion sowie den verschiedenen Sinneswahrnehmungen verschwimmen. Einerseits wirkt das Stück erstaunlich real, etwa durch den Geruch der Würste oder das Geräusch des Wasserkochers. Gleichzeitig erscheint das Geschehen so absurd, dass es völlig losgelöst von der Wirklichkeit wirkt.

Plötzlich
geht das Licht aus

Als es mittendrin für mehrere Minuten auf einmal stockdunkel wird, löst sich auch die visuelle Orientierung vollständig auf. Ein zutiefst unterhaltsames Schauspiel, das Spaß macht, alle Konventionen und Grenzen sprengt und gleichermaßen für Stirnrunzeln und Lacher sorgt.

Aufführungen

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