Teufelskreis statt Himmelsmacht

von Redaktion

Volksbühne St. Nikolaus begeistert mit jungen Schauspielern

Rosenheim – Die Volksbühne Rosenheim St. Nikolaus hat das Kunststück fertiggebracht, sich selber rundzuerneuern, sich zu verjüngen. Statt dass Altgewordene junge Liebhaber spielen müssen, spielen jetzt so Junge, dass man sie auf älter schminken muss. Und auch die Stückauswahl hat sich modernisiert: Die Schauspieler tragen jetzt statt Lederhosn und Dirndlgwand Minirock und rotes Sakko, sind von Beruf keine Jagerbuam oder Bauernmagd, sondern Jurastudent und Zahnarzthelferin, und heißen nicht mehr Blasi oder Zenzi, sondern Flo und Conni.

In unverfälschtem
Dialekt

Das moderne Stück, das aber immer noch im unverfälschten Dialekt gespielt wird, heißt „Wechseljahre“ und stammt von Reinhard Seibold, einem sehr erfolgreichen Autor aus Haag, der es schafft, den Zeitgeist auf humorige Art widerzuspiegeln. Es hat, wie der Titel schon sagt, die Wechseljahre der Frauen und die Midlife-Crisis der Männer zum Thema, dazu die Lebensfindungen der Söhne und Töchter.

Evi Hauser ist mitten in den Wechseljahren mit Hitzewallungen und Angst vor ihrem 50. Geburtstag, ihr Mann Achim ist ausgezogen und hat eine neue junge, schrille Freundin namens Dagmar. Die Tochter Conni schleppt ständig neue Freunde ran, Sohn Michi bricht sein Jurastudium ab und will die schwangere Biggi heiraten, die eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin macht. Evis Freundin Karin will zusammen mit ihrem Pantoffelhelden-Mann Jürgen helfen. Also Konfusion pur – das ganz normale Leben.

Als Katalysator tritt da der esoterische Heilsbringer Samuel auf den Plan, verwirrt alles noch mehr und fördert dadurch aber die Lösung – die aber nicht verraten werden soll. Die Liebe ist hier keine Himmelsmacht, wie die Operette singt, sondern eher ein Teufelskreis, weil die Liebe fast im Kreis herum geht und alle befällt. Dabei bleibt das Stück konsequent im Komödiantischen: Die Liebeswirren gehen nicht mit Eifersuchtsdramen einher, sondern werden im Gespräch dargestellt, bereinigt oder eben hingenommen. Und das mit sehr viel Wortwitz, der den Theatersaal im Künstlerhaus immer wieder in wahre Lachgewitter ausbrechen lässt.

Unter der Regie des Altmeisters Richard Martl spielen sich die jungen Schauspieler in eine hervorragende Ensembleleistung. Dass der Souffleur noch viel zu tun hatte, war der Premierennervosität geschuldet. Aber die rhetorisch geschickt vorbereiteten oder ganz trocken gebrachten Pointen zündeten, die kleinen Giftspritzeleien, die sogar im bloßen Nennen der Vornamen steckten, sprühten vorbildlich. Conny Stadler hatte vollkommen stimmige Kostüme gewählt, die das Gespielte augenscheinlich unterstützten. Als esoterisch in Himmelshöhen schwebenden und Reinkarnation predigenden Chakra-Prinzen Samuel, der aber ganz irdisch-erotische Ziele hatte, kostete Richard Martl seine Rolle weidlich und Lacher produzierend aus und schaffte es sogar, das Publikum zur Tiefenatmung zu animieren.

Stephanie Borrmann klagte als Evi mitleiderregend über die Auswirkungen ihrer Wechseljahre, Maria Reiter versprühte als ihre Freundin Karin viel Hilfs-Energie. Frisch, frech und flott spielten die ganz Jungen: Evi Mayr als männervernaschende Tochter, Vinzenz Egger als ihr supercooler Freund Flo, Emanuel Notarangelo als abgebrochener Jura-Student und Christina Sommer als seine ganz normale Freundin Biggi: Die stand zum ersten Mal auf der Bühne, wirkte aber wie selbstverständlich. Dazu noch Thomas Wratzlaweck als unterdrückter Ehemann Jürgen, der sich am Ende aber ganz schön emanzipiert, beides gleich glaubwürdig gespielt. Alle agierten authentisch und glaubhaft.

Macho
im Wandel

Florian Schrei als Evis Ehemann Achim verlor immer mehr seine Macho-Manieren, wirkte süß trottelig-verliebt („Schnurzlwurzlpurzl“ nennt ihn seine Freundin…) und am Ende fast mitleiderregend. Seine junge Freundin Dagmar spielte Lisa Sebald schön sexbiestig.

Nach zahlreichem Zwischenbeifall gab’s donnernden Schlussbeifall, der die jungen Schauspieler wohltuend und aufmunternd bestätigte: Nur weiter so! Die Volksbühne St. Nikolaus lebt weiter.

Es ist wirklich schade: Aber die nächsten Vorführungen an den nächsten Wochenenden bis zum 12. April sind komplett ausverkauft – wenn man nicht noch eine seltene Restkarte ergattert.

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