Küssen nur am Dienstag

von Redaktion

Premiere von „Aria da capo“ von Edna St. Vincent Millay in der Theaterinsel

Rosenheim – Lag es am Namen der hierzulande kaum präsenten, in ihrer Heimat dagegen hochgeschätzten amerikanischen Dichterin Edna St. Vincent Millay, oder an dem scheinbar strengen musikalischen Titel „Aria da capo“, dass nicht alle Plätze in der Theaterinsel besetzt waren?

Rätsel brauchen
keine Lösung

Doch alles halb so wild: Die dreiteiligen Opernarien wiederholen den ersten Teil, alles endet, wie es begonnen hat. Und weiter: Arien erzählen keine Handlung, sondern bringen Gefühle zum Blühen. St. Vincent Millays Stück deklariert sich als „lyrischer Einakter“ (mit Vorspiel) und da darf man gerne eigene Emotionen assoziieren. Zudem wird im prachtvoll gestalteten Programmheft versichert, man könne den „enigmatischen“, also rätselhaften Charakter des Stückes nicht in Worte fassen. Folglich lässt man sich am besten von der „Macht der Verzauberung“ leiten, ohne penibel alle Rätsel lösen zu wollen.

Marie Elliot-Gartner war als Regisseurin bestrebt, dem Stück den Charme eines träumerischen Notturno mit vielen leisen Tönen zu bewahren. Die sechs Akteure wurden von Charakter und Ausstrahlung her bestens besetzt. Im Vorspiel ging’s aber erst mal turbulent zu: Die beiden gelangweilten Bühnenarbeiter vertreiben sich die Zeit mit improvisiertem Spiel. Beide mit Masken, heiter und übermütig der eine (Sven Rummelt), griesgrämig und negativ gepolt der andere (großartig larmoyant Justus Dallmer). Sie imaginieren sich nach Jerusalem in die Zeit der römischen Okkupation. Und der Lustige schmiert an die Palastmauer im Sinne des einstigen „Ami go home!“ das lateinische „Romani ite domum“. Die römische Wache mit Helm und Schwert moniert nun nicht die Ordnungswidrigkeit, sondern das zunächst grauenhaft schiefe Latein. Ein Jux nicht nur für Humanisten…

Doch plötzlich wird’s „romantisch“: Pierrot und Kolumbine erobern tänzelnd und schäkernd die Bühne! Pierrot (bezwingend Leon Lausecker) und Kolumbine (auf kokette Art liebenswert und egozentrisch naiv Kathrin Gerlsbeck) wollen nun ihr Stück proben. Lieben sich die beiden? Er will sie küssen, falls heute Dienstag ist. Ist es aber nicht! Doch bevor sie zur Sache kommen, verkündet der humorfreie „Regisseur“ Justus Dallmer: Pause!

Danach bleiben wir zumindest äußerlich in idyllisch antikem Milieu. Die Schäfer Thyrsis (Benjamin Müller) und Corydon (Bernhardt Burgstaller) bringen ihre Schäfchen friedlich auf die Weide, bevor die angekündigte Tragödie beginnt. Corydon, zunächst ein arglos-tumber Tier- und Menschenfreund, und sein Kollege Thyrsis, ein warmherziger, kompromissfreudiger Gutmensch, langweilen sich verständlicherweise bei ihrem wenig aufreibendem Job. Auch sie versuchen, mit quasi Theaterspiel die Zeit zu vertreiben. Sie bauen im Spaß eine Mauer zwischen sich (zwar nur aus harmlosen bunten Girlanden), doch aus Spiel wird mehr und mehr Ernst: Es gibt keinen „kleinen Grenzverkehr“.

Das Dumme: Wasser fließt nur auf Thyrsis Seite. Sollen Corydons Schafe verdursten? Unvermutet findet Corydon auf seiner Seite Schätze. Prompt fühlt sich der reich gewordene Pretiosen-Besitzer als gerissener „Geschäftsmann“; der Schacher beginnt, Gold gegen Wasser. Warum sollen wir’s verschweigen, der Streit endet für beide tödlich. Ein ebenso simples wie klassisches Beispiel für Eskalation…

Die Schafe übrigens waren pflegeleichte „Sandsäcke“, dafür Benjamin Müller und Bernhardt Burgstaller umso blutvollere Schauspieler. Müller, mit warmem Timbre, reicht wieder und wieder die Hand zu Versöhnung. Burgstaller als Corydon verliert schließlich die moralische Bodenhaftung.

Doch zu guter Letzt schwirren wieder Pierrot und Kolumbine auf die Bühne, lassen ungerührt die Leichen entsorgen und turteln wie zu Beginn („da capo“!): „Ist heute Dienstag? Dann würde ich dich küssen“, flötet Pierrot…

Theater im Theater übers Theater

Theater im Theater, aber auch Theater übers Theater! Alle Klischees, Versatzstücke und Konventionen packte die vor 75 Jahren verstorbene Edna St. Vincent Millay listig und auch witzig in eine bei allem „Klamauk“ tiefsinnige Szenenfolge, die weniger auf schnelle Lacherfolge zielt, als vielmehr ernsthaft zum Nachdenken anregt.

Die Premiere wurde herzlich beklatscht und die durchweg famosen Schauspieler sowie die Regisseurin Maria Elliot-Gartner feierte das Publikum emphatisch. Vorhang auf: Der April ist voller „Aria da capo“!

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