Wasserburg – Das Premierenpublikum war von Nik Mayrs „König Lear“-Inszenierung am Theater Wasserburg begeistert. Auf das Wesentliche reduziert, beeindruckte die komplexe Tragödie um Macht, Verrat und Wahnsinn mit Kreativität und brillanten schauspielerischen Leistungen.
Aufrichtigkeit wird bestraft
Unter den Dramen von William Shakespeares ist „König Lear“ wohl das blutrünstigste. Das Schauspiel zeigt eindrucksvoll den Zerfall von Familie, Staat und persönlicher Identität. Der alte König Lear will sein Reich unter seinen drei Töchtern aufteilen – je nachdem, wie sehr sie ihn lieben. Die beiden älteren, Goneril und Regan, schmeicheln ihm. Sie erhalten das Land und die damit verbundene Macht. Die jüngste Tochter Cordelia, die als einzige aufrichtig ist, wird enterbt und auch verstoßen.
Zu spät erkennt der alternde König die Täuschung und seinen Irrtum. Goneril und Regan verraten ihn und treiben ihn in den Wahnsinn. Nur Cordelia bleibt ihm treu, scheitert aber letztendlich tragisch. Intrigen und der Kampf um die Herrschaft stürzen das Reich ins Chaos. König Lear verliert neben seiner Macht auch noch den Verstand und seine geliebte Cordelia. Am Ende sterben fast alle Hauptfiguren. Das Land bleibt in einer trostlosen Lage zurück.
Nik Mayr hat seine Inszenierung des zerstörerischen Untergangsdramas auf drei Rollen reduziert: König Lear als tragische Hauptfigur, den „Narren“, der als einziger die Wahrheit erkennt und „Sie“. Letztere steht wohl gemeinsam für die beiden ruchlosen Charaktere von Goneril und Regan wie auch für die einzig aufrichtige Cordelia. Gespielt wird überwiegend am Boden. Umrahmt sind die Akteure von acht Röhrenmonitore, die in einer Art dauerhafter Bildstörung die dystopische Entwicklung im Königreich bereits erahnen lassen.
Starr und schwer sitzt der König mitten auf dem Bühnenboden, anfangs sich noch sicher die richtige Entscheidung zur Aufteilung des Reiches getroffen zu haben. Doch mehr und mehr werden seine Zweifel lauter, wohl auch weil der Narr vorausschauend die Wahrheit erkannt hat: „Aus Spöttern werden oft Propheten“, entgegnet er seinem König.
Es ist unbestritten ein Abend dreier exzellenter Darsteller. Carsten Klemm überzeugt als König Lear, anfangs noch autoritär im Zentrum seiner Macht. Doch der Verfall ist unaufhaltsam. Wie sein Reich zu zerbröckeln beginnt, zerbröckelt auch seine Persönlichkeit, eindrucksvoll in Szene gesetzt. Die weiße, gipsähnliche Maske die er trägt, befindet sich in einer Art Auflösungsprozess. Wie sein Gesicht verfällt auch seine Persönlichkeit. Noch irrlichtert Lear mit beginnender Demenz und sich abzeichnendem, körperlichem Verfall umher. Doch sein Ende naht.
Gänsehautmomente im Saal
Annett Segerer beeindruckt als „Sie“. In ihrer Dreifachrolle verharrt sie zunächst in einer Art kataleptischen Körperhaltung, was der Darstellerin auch körperlich einiges abverlangt. Doch dafür agiert sie dann als „Sie“ umso impulsiver. Als König Lear schließlich in ihren Armen sterben soll, sorgt die emotionale Stimmung im Raum für wahre Gänsehautmomente.
Andreas Hagl begeistert als Narr, der wohl als einziger die Zeichen der Zeit richtig erkennt. Ob der Narr allerdings das Geschehen überlebt, lässt – wie bei William Shakespeare – auch Nik Mayr offen.