Söllhuben/München – Als Theologe ist Dietrich Bonhoeffer vielen ein Begriff. Die Geschichte seiner politischen Einstellung und Entwicklung ist dahinter wenig beachtet. Es ist das Verdienst des Münchener Historikers Dr. Detlef Bald, diese wenig beachtete Facette des evangelischen Theologen als Widerstandskämpfer herausgearbeitet zu haben.
Bald, seines Zeichens Politikwissenschaftler, kritischer Militärhistoriker und Autor zahlreicher Bücher und Veröffentlichungen, war von 1971 bis 1996 Wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in München. Für sein friedenspolitisches Engagement wurde der gebürtige Plettenberger 2002 mit der Bürgermedaille „München leuchtet“ ausgezeichnet. In der Abgeschiedenheit Söllhubens, wo er seit Jahrzehnten ein Domizil hat, hat der Autor ein Jahr an diesem Werk gearbeitet.
Ab 1938 hatte sich Bonhoeffer dem NS-Widerstand um Wilhelm Franz Canaris angeschlossen. 1940 erhielt der Theologe Redeverbot, 1942 Schreibverbot. Am 5. April 1943 wurde er verhaftet und zwei Jahre später auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers als einer der letzten NS-Gegner, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht wurden, im April 1945, also in den letzten Kriegstagen, vor 80 Jahren im Alter von 39 Jahren im Konzentrationslager Flossenbürg in der Oberpfalz hingerichtet.
Bald zeichnet in seinem Buch den fundamentalen Wandlungsprozess Bonhoeffers von völkischem zu friedenspolitischem Denken nach. Als junger Mann stand Bonhoeffer aufgrund seiner Erziehung in der Tradition der völkischen Ideenwelt des Nationalprotestantismus, der er lange verhaftet blieb. Seine Auslandsaufenthalte veränderten seine Einstellung, besonders sein einjähriger Aufenthalt 1930 als Stipendiat in den USA. In der Folge entwickelte er sich in seiner Dozententätigkeit in Berlin zunehmend zu einem protestantischen Oppositionellen zum herrschenden NS-Staat, was er auch in seinen Predigten deutlich werden ließ.
Bonhoeffers Wirken als Kritiker der immer massiver werdenden Eingriffe der Nazi-Diktatur in alle Lebensbereiche stellt Bald umfassend dar. Für viele ist Bonhoeffer zu einer Ikone christlichen Widerstands geworden, und sein im Dezember 1944 in Kerkerhaft geschriebenes, inzwischen vertontes Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ kündet von der Hoffnung auf die Überwindung unsäglichen Leids. Die juristische Verfolgung Bonhoeffers, die zu seiner Ermordung führte, wurde zum Schutz der Nazi-Täter lange nicht überprüft; erst 1996 erfolgte seine juristische Rehabilitation.
Bonhoeffer wurde von der Geschichtswissenschaft dem nationalkonservativen Widerstand zugerechnet. Sein existenzieller Wandel ab 1930 zu einer Ethik des Protests und des Widerstands gegen den NS-Staat blieb lange vernachlässigt. Das arbeitet Detlef Bald in seinem Buch auf. In akribischer Arbeit hat er Quellenstudium betrieben und viel Lob vonseiten der Kollegenschaft geerntet.
„Ein Held ist ein Pechvogel mit Charakter“ lautet ein Spruch, der die „Vergötterung“ derartiger Personen wunderbar relativiert – Verlierer mit wahrer Größe. Daher fand auch Bonhoeffer Berücksichtigung in der vergangenen Ausstellung „Heldinnen und Helden“ im Rosenheimer Ausstellungszentrum Lokschuppen. Die Weltmusikgruppe „Quadro Nuevo“, welche die Eröffnung der Ausstellungen seit Jahren musikalisch-thematisch begleitet, hat als ersten Titel ihrer CD „December“ eine Komposition mit dem Titel von Bonhoeffers bekanntem Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ eingespielt. Bandchef Mulo Francel ging in seinem Interview zur Helden-Ausstellung im Februar 2024 sehr bewegt auf das Schicksal des ermordeten Theologen ein: „Er hat vorher noch unglaublich schöne Texte an seine Verlobte geschrieben, die voller positiver Würde sind. Und an anderer Stelle äußert er vor seinem allzu frühen Tod: ,Es gibt ein erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche.‘ Positiver geht’s nicht.“
Die Ikone Bonhoeffer als Vorbild, die Zeitläufte kritisch zu überdenken, bleibt aktuell.HENDRIK HEUSER