Das Duo Jazzissimo und der freie Blick

von Redaktion

Begeisterndes Konzert mit Matthias Well und Lilian Akopova in der Villa Sawallisch

Grassau – Durch die Villa Sawallisch wehte an diesem Abend ein musikalisch freier Geist, wie er in einem bürgerlichen Konzertsaal eher selten ist. Bürgerlich ist der Saal aber nur nach außen hin, das wissen die Klassikfans zwischen München und Salzburg, die mit dem Konzertprogramm auf dem Grassauer „Grünen Hügel“ vertraut sind: dieser besonderen Mixtur aus etabliertem Klassikkonzert und Künstlern und Ensembles, die gerne mal die bekannten Gleise verlassen, dabei aber immer zu den Top-Interpreten gehören.

Aktuelles Beispiel: Das Jazzissimo-Duo mit dem Geiger Matthias Well und der Pianistin Lilian Akopova, beide als Solisten international vielfach preisgekrönt. Der kesse Name des Duos verrät es bereits, es macht gerne Anleihen beim Jazz, aber wie der Superlativ zugleich verkündet, nehmen sie sich die Freiheit, ihren musikalischen Horizont über die Verjazzung bekannter Klassikhits hinaus kreativ zu erweitern. Crossover reicht hier als Begriff nicht, denn auch die Auswahl ihrer Komponisten zeigt diesen freien Blick, und ihre Präsenz auf der Bühne macht den Abend zum Erlebnis.

Er begann mit vier Sonaten von Erwin Schulhoff (1894 bis 1942/KZ), dem mit zehn Jahren von Anton Dvorják ans Prager Konversatorium empfohlenen, nach dem Krieg wieder entdeckten tschechischen Avantgardisten mit Jazz-Ambitionen. Seine „Hot-Sonatas“ für Altsaxofon und Klavier wurden an dem Abend kreativ so verwandelt, dass alle gespannt waren, was da noch folgen würde.

Matthias Well, Sohn des Musikkabarettisten Michael Well, übernahm die Ansagen des Programms, sichtlicherfreut über die Nähe zum Publikum, das sich über seine unterhaltsamen Anekdoten amüsierte. Als zweites Stück folgte eine Variation aus der „L’Histoire du Tango“ von Astor Piazolla, unter Musikern einer der beliebtesten Grenzgänger, in dem Fall zwischen Klassik und Tango. Danach gab es als Kontrast die allseits geliebte „Meditation“ von Jules Massenet, bei der Matthias Well mit viel Emotion sein Können als klassischer Geiger zeigte.

Der Ausflug in den Jazz ging weiter mit einer Auswahl aus Gershwins „Porgy and Bess“ und vor der Pause wurde noch einmal ein weniger bekannter Komponist präsentiert: Alexander Rosenblatt, 1956 in Moskau geboren, den diesmal Lilian Akapova vorstellte. Als Debütantin am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium erinnerte sie sich gerne an ihre langen Telefongespräche mit dem Meister. Rosenblatts „Carmen Fantasy“, ursprünglich für Klarinette und Klavier geschrieben, begeisterte in der Jazzissimo-Fassung das Publikum vor der Pause und wurde mit einem wahrhaft explosiven Applaus belohnt.

Mit Maurice Ravels „Tzigane“ ging es danach weiter, ganz ohne Ansage und ohne Orchester, konnte Matthias Well als Sologeiger wieder seine Meisterschaft zeigen. Als Solistin am Flügel, nicht weniger meisterhaft, stellte Lilian Akapova den russischen Komponisten und Pianisten Nikolai Kapustin (1937 bis 2020) mit seiner Etude op.40, No.1 vor, einem kurzen, aber äußerst rasanten Stück. Noch sichtlich außer Atem erfuhr das Publikum, dass auch Kapustin sich viel mit Jazzimprovisation beschäftigt hat. Wieder vereint und entspannt spielte das Duo eine „Happy-Birthday“-Version von Alexander Rosenblatt, danach wieder ein Violin-Solo-Stück, diesmal von Joe Venuti (1903 bis 1978), einem Jazzmusiker und Violinisten aus Phildelphia.

Die Neugierde des Publikums wurde bedient, zuerst mit „Kaleidoscope“, einer Komposition des Akkordeonisten Vladislav Cojocaru aus Moldawien, der schon mit Matthias Well aufgetreten war und weiter mit der Filmmusik-Fantasie „Le Boeuf sur le toi“ von Darius Milhaud (1892 bis 1974). Vor den zwei improvisierten Zugaben durften sich die hochgestimmten Zuhörer dem unsterblichen Gershwin-Klassiker „Summertime“ hingeben. Nicht enden wollender Applaus! „So gekonnt, und so frei! Was für ein Konzert!“ Das war der Kommentar meiner Sitznachbarin, als sie sich am Ausgang bei den beiden Künstlern begeistert bedankte. Eine signierte CD hatte sie auch noch erwischt. klaus bovers

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