Spannender Dialog auf vielen Ebenen

von Redaktion

Ausstellung „Königsklasse – Könnt ihr noch?“ im Schloss Herrenchiemsee

Herrenchiemsee – Bis zum 12. Oktober haben unter dem Titel „Königsklasse – Könnt ihr noch?“ über 50 einzigartige Ouevres der Sammlung Moderne Kunst/Pinakothek der Moderne, ergänzt um einige Leihgaben, ihren großen Auftritt im Nordflügel des von König Ludwig II. errichteten Schlosses Herrenchiemsee.

„Könnt ihr noch?“ fragen Künstler wie Francis Bacon, Georg Baselitz, Max Beckmann, Joseph Beuys, Jörg Immendorff, Sheila Hicks, Anselm Kiefer, Ernst Ludwig Kirchner, Maria Lassnig, Inge Mahn, Henry Moore, A.R. Penck, Pablo Picasso, Judit Reigl, Gerhard Richter, Rosemarie Trockel oder Andy Warhol.

Künstlerischer Ritt durch die Geschichte

Wie steht es um Freiheit, um die Selbstbestimmung und um die Würde des Menschen? Wie können Kunst und Kultur dazu beitragen, Werte der Demokratie zu stärken? Dieser spannungsvolle Dialog von Kunstwerken und Architektur bekommt im Wechselspiel mit der Natur der Insel in ihrem jahreszeitlichen Verlauf einen einzigartigen Rahmen.

Der Rundgang beginnt und endet mit Joseph Beuys: Seine „Rose für direkte Demokratie“ (1973) steht für eine unmittelbare Teilhabe aller an der Politik. Dazu gehört auch das Recht auf freie Selbstentfaltung. Und so hat selbstredend das Kinderforum van de Loo einen eigenen Raum bekommen. Einen Raum, der ausdrücklich dazu einlädt, sich kreativ zu betätigen.

Die Ausstellung „Königsklasse – Könnt ihr noch?“ nimmt aber auch Bezug auf den Verfassungskonvent, der im August 1948 auf Herrenchiemsee stattfand und der die Grundlage für die deutsche Verfassung schuf. Während im Alten Schloss dem Verfassungskonvent dauerhaft die Ausstellung „Der Wille zu Freiheit und Demokratie“ gewidmet ist, geht es in den unvollendeten Rohbauräumen im Schloss auf eine Reise durch 100 Jahre Zeitgeschichte im Spiegel der modernen Kunst.

In der Weimarer Republik konnten Kunstschaffende frei und divers agieren, was sich beispielsweise bei „Zwei Brüder“ von Ernst Ludwig Kirchner oder der „Femme“ von Pablo Picasso zeigt. Später dann Wunden und Brüche, Schmerz und Erschütterung: Die NS-Zeit und der Zweite Weltkrieg schlagen sich selbstredend auch in der Kunst nieder. Düster wirken die Farben („Ruinengespenst“ von Willi Geiger), abgekämpft und verletzt der Mensch (Bronzestatue „Falling warrior“ von Henry Moore), surreal das Kreuzigungstryptichon von Francis Bacon. Anselm Kiefers „Morgenthau“ mit vertrockneten Ähren und einer am mit Asche bedeckten Boden kriechenden Schlange, die das Böse symbolisiert, verweist auf den Plan des amerikanischen Finanzministers Morgenthau, Deutschland in einen Agrarstaat umzuwandeln.

Und nach 1945? K. H. Hödicke geht der Teilung Deutschlands nach: die Berliner Mauer, bewacht von Fabelwesen. Jörg Immendorffs „Cafè Deutschland“ ist ein in dunklen Farben gehaltenes Wimmelbild par excellence. Man entdeckt (immer noch) Symbole der NS-Zeit, da werden der Kalte Krieg und das geteilte Deutschland nachgestellt, da geht aber auch das normale Alltagsleben weiter.

Ganz anders das bunte, abstrakte Wimmelbild von A. R. Penck, das die „Junge Generation“ zeigt. Der Faden der Demokratie ist dennoch deutlich auszumachen. Dafür steht die über sieben Meter hohe Installation „saffron sentinel“ von Sheila Hicks: knuffige Bündel von roten, gelben und orangenen Fasern, die mit feinen, fast unsichtbaren Netzen zusammengehalten werden. Ein wollenes Schaumbad, in das man sich stürzen möchte.

Im Raum „Frei/unfrei“ geht es um Selbstentfaltung und Zusammenhalt. Beispielhaft dienen hier John Baldessaris Bromsilbergelatineabzüge von einem laufenden und eine Kiste tragenden Männer oder Günther Jörgs bronzene Masken. Dass Demokratie auch ein fortwährender Balanceakt ist, verkörpern sinnbildlich die „Balancierende Türme“ (1989) von Inge Mahn, nur von einem Seil zusammengehalten, oder das Ölbild „Stukas“ von Gerhard Richter.

Auch eine Einladung an alle Besucher

Das unvollendete Treppenhaus bildet die Klammer zwischen der modernen Kunst in den roh belassenen und dem Prunk der ehemals bewohnten Räume. Glasierte Keramikköpfe von Thomas Schütte sind die Experten, die Tanke Deutschland aus Plexiglas, Stahl und Holz markiert den Eingang zum „Tischlein Deck Dich“ von König Ludwig II. und ein über acht Meter langer Wollteppich von Sheila Hicks, der sich wie ein Wasserfall über die beiden Stockwerke ergießt, trägt den vielsagenden Titel „Aprentizaje de la Victoria“ („Die Lehre vom Sieg“).

Im Eingangsbereich spielt in Dauerschleife das Musikvideo „Könnt ihr noch“ von Deichkind. Der Song steht sinnbildlich für unsere beschleunigte Gesellschaft, fragt gleichsam nach unserem Verhältnis zur Demokratie. Der Animatronics-Roboter-Kopf neben der Leinwand folgt dem Blick des Betrachters und animiert zum Hinschauen. „Königsklasse – Könnt ihr noch?“ ist Ausstellung und Einladung zugleich.

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