Deutsche Lebkuchen für ein Violinkonzert

von Redaktion

Interview Stargeigerin Anne-Sophie Mutter spielt in Altötting Musik von John Williams

Altötting – Auf dem Kapellplatz präsentiert die Stargeigerin Anne-Sophie Mutter am Mittwoch, 9. Juli, zusammen mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Lina González-Granados Werke des Hollywood-Komponisten John Williams, wie das legendäre „Sound the Bells!“, sein Violinkonzert Nr. 2 sowie Filmmusik unter anderem aus „Superman“, „Indiana Jones“, „Harry Potter“ und „E.T.“. Seit 49 Jahren konzertiert Anne-Sophie Mutter weltweit in allen bedeutenden Musikzentren und prägt die Klassikszene als Solistin, Mentorin und Visionärin. Dabei ist die viermalige Grammy-Award-Gewinnerin der Aufführung traditioneller Kompositionen genauso verpflichtet wie der Zukunft der Musik. Das Royal Philharmonic Orchestra (RPO) gilt als das meistgefragte Orchester Großbritanniens, die Kolumbianerin Lina Gonzalez-Granados hat sich national und international als einzigartig talentierte, junge Dirigentin hervorgetan. Im Interview erzählt Anne-Sophie Mutter, wie sie John Williams kennengelernt hat, was Filmmusik für sie bedeutet und was deutsche Lebkuchen bewirken können.

Frau Mutter, wie haben Sie John Williams kennengelernt?

Auf dem Sommercamp des Boston Symphony Orchestra 2016 in Tanglewood. Nach dem ersten „Star-Wars“-Film war ich ja ein riesiger John-Williams-Fan. Er war wahnsinnig liebenswürdig und liebenswert und bescheiden. Ich habe mir dann ein Herz gefasst und ihm gestanden, dass ich ein Riesen-Fan bin von ihm, und habe ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne, eines Tages ein paar Takte für mich zu schreiben. Er war damals gerade wieder in einem Spielfilmprojekt mit Steven Spielberg verankert und hat mir ganz offen gesagt, dass daraus nichts würde. Ich war natürlich betrübt. Aber dann kam Weihnachten und ich dachte mir: Ich schicke ihm einfach mal eine große Box mit Lebkuchen. Diese Art von Lebkuchen gibt’s nämlich in Amerika nicht. Und es ist nicht zu glauben: Es kam tatsächlich im Januar ein handgeschriebener Brief des großen Meisters, in dem er sich überschwänglich bedankte und meinte, er fühle sich jetzt verpflichtet, einen Takt zu schreiben.

Sie haben also wirklich mithilfe von Lebkuchen Musik hervorgebracht!

(lacht) Erstaunlich, nicht? So begann unsere musikalische Zusammenarbeit, die in einem Werk für Harfe, Geige und Streichorchester namens „Markings“ gipfelte, das inzwischen auch aufgenommen wurde. Da dachte ich mir, jetzt könnte ich ja vielleicht meinen Wunsch nach Filmthemen einfließen lassen. Er hat dann selber eine Auswahl getroffen und es entstand ein großes Bouquet von unterschiedlichsten Neubearbeitungen, neben „Schindlers Liste“, „Die Geisha“, „A Prayer for Peace“, auch „Dracula“ oder auch das Jazz-Thema, das ich in Altötting spielen werde: „Nice to be around“. Und er hat alle Filmthemen für Geige selber bearbeitet und nicht seinem Arrangier-Team gegeben.

Welche Wertschätzung bringen Sie der Filmmusik von John Williams entgegen?

Mich faszinieren die Fülle seiner Werke und die Bandbreite seiner Ausdrucksfähigkeit. Und man darf ja nicht vergessen: Ich bin nicht der einzige Musizierende, der Williams‘ Musik auf die Bühne bringt. Da gibt es den Cellisten Yo-Yo Ma und den Geiger Itzhak Perlman. John Williams hat ja für nahezu jedes Instrument Solo-Konzerte geschrieben. Das erste Violinkonzert entstand während der 1970er-Jahre, für das zweite hat es anscheinend meine Inspiration gebraucht (lacht).

Können Sie uns dieses Violinkonzert näher beschreiben? Was gefällt Ihnen daran besonders?

Es hat eigentlich den Jazz als Kernidee, es beginnt nämlich mit einer ausgeschriebenen Harfenimprovisation, der dann die Geige folgt – und wenn ich noch mal zu den Filmthemen kommen darf: Die Filmmusik von John Williams fußt ja auf ganz klassischen Parametern. Es gibt ein Thema, es gibt die klassische Durchführung und die Reprise. Vielleicht können wir uns deshalb in seiner Musik so intuitiv zurechtfinden, weil wir die Architektur instinktiv kennen. In den vier Sätzen des Violinkonzertes findet man ganz klassische Züge: Es beginnt mit dieser Improvisation, der zweite Satz ist ein bisschen ein musikalischer Irrgarten, in dem das große Seitenthema vorgestellt wird, mit dem im vierten Satz das Konzert auch endet. Im Laufe dieser vier Sätze flammen immer wieder Themen auf, die sich am Ende bündeln. Dieses Konzert ist auch deshalb so faszinierend und abwechslungsreich, weil es zwei andere Instrumente fast gleichberechtigt der Geige zur Seite stellt, die Harfe und das Schlagzeug. Es gibt im zweiten Satz eine große Schlagzeugkadenz mit Geige: Das sind schon wahnsinnig faszinierende musikalische Ideen, die, so glaube ich, auch dem Publikum viel Abwechslung und Spannung bieten.

Haben Sie das Gefühl, dass er sich auch in Ihre Art des Geigenspiels eingefühlt hat?

John Williams weiß alles und kennt alles über die Instrumente. Ich habe selten einen Komponisten getroffen, der so genau weiß, wie er die jeweiligen Klangkörper zum Klingen bringt. Ich finde, die Geige hat nie besser geklungen als mit John Williams. Beispielsweise hat „Helena‘s Theme“ eine Sonorität, eine Orchestration, eine Klangopulenz, die sagenhaft sind.

Spielen Sie außer dem Violinkonzert von Williams noch etwas bei diesem Konzert?

Anlässlich meines 60. Geburtstagskonzertes in Pittsburgh 2023 hat John Williams weitere Filmthemen für mich adaptiert, „Anakin‘s Theme“, das ich vielleicht auch in Altötting spielen werde, das „Scherzo for Violin and Motorcycle“ aus „Indiana Jones“ werde ich sicherlich spielen. Relativ neu ist auch „Helena‘s Theme“ aus dem letzten „Indiana-Jones“-Film: Das war ein reines Orchester-Thema und ist jetzt ein Geigenthema geworden. Natürlich ist auch das berühmte „Hedwig’s Theme“ aus „Harry Potter“ dabei, das Orchester spielt auch noch aus „E.T.“ und natürlich das große Hauptthema aus „Star Wars“. Ich werde auch „Rey‘s Theme“ spielen, das ist die erste Frauenfigur, die bei „Star Wars“ in die Riege der Jedi-Ritter aufgenommen wird: ein fabelhaftes Werk.

Sind Sie der populären Musik durch Ihren zweiten Mann André Previn nähergekommen oder hatten Sie schon immer eine Affinität dazu?

Das Komische ist, dass wir Deutschen immer gerne Schubladen auf- und zumachen und dann Sachen reinstopfen oder rausholen. Es würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass Bach, Beethoven und Mozart unpopulär sind – und populär ist dann: was? Ich teile Musik in Craftmanship (das heißt: Handwerkskunst. Anmerkung des Interviewers) ein und Mittelmaß. Das hat für mich aber nichts mit Stilrichtung zu tun. Es gibt natürlich großartigen Jazz, es gibt großartige Werke der Popmusik – und es gibt auch Müll in der klassischen Musik. Populär ist ja nicht gleich dämlich – und unpopulär ist nicht gleich vergeistigt-großartig. Ich würde sagen, dass ich ein sehr offener und neugieriger Mensch in allen Dingen des Lebens bin, dass mir Dogmatismus ein Gräuel ist und dass ich sehr viel Wunderbares abseits der Trampelpfade gefunden habe. Jetzt im Moment beschäftige ich mich mit iranischer Musik. Die Filmmusik hatte ja in der Vergangenheit so etwas Anrüchiges im deutschsprachigen Raum. Große Komponisten haben immer für Filme geschrieben. Und wenn es auch nur zum Überleben war. André Previn hat mal etwas Wunderbares gesagt über Erich Wolfgang Korngold, der ja schon in Wien eine Riesenkarriere hatte und als Jude nach Hollywood emigrieren musste und dort als Filmkomponist Arbeit gefunden hatte: „Korngold hat nicht nach Hollywood geklungen – nach einer Weile hat Hollywood nach Korngold geklungen.“ Er hat dieses Genre geadelt. John Williams ist einer der letzten dieser Generation, die die Filmmusik geadelt haben. Ich sehe eine große Chance, die Freude und den Spaß, die ja in der sogenannten klassischen Musik auch zu Hause sind, und die Leidenschaft, die die Musik von John Williams ausstrahlt, einem breiteren Publikum vorzustellen. Ich bin ja ein begeisterter Werber für das Faszinosum Geige und Musik überhaupt.

Sie haben ja alle wichtigen Violinkonzerte der Klassik gespielt: Welches davon ist warum Ihr absolut liebstes?

Eigentlich kann man diese Frage nicht beantworten. Es gibt Werke wie das Beethoven-Konzert, das berechtigterweise als die Krönung des Geigenrepertoires bezeichnet wird und in der Zusammenarbeit mit Karajan für mein Leben eine besondere Rolle einnimmt. Aber ich bin ich immer emotional und intellektuell mit dem am engsten beschäftigt, mit dem ich mich gerade auseinandersetze. Beispielsweise jetzt das Mendelssohn-Oktett, das ich gerade probe. Ich kann ihnen Ihre Frage nicht beantworten, weil ich mein Repertoire nicht als beendet ansehe und ständig neue aufregende Werke auftauchen, wie das Werk der beiden iranischen Komponistinnen, deren Werke ich jetzt aufführe (beispielsweise „Likoo“ von Aftab Darvishi. Anmerkung des Interviewers). Ich schaue eher nach vorne und begeistere mich für Neues.

Sie spielen ja auf zwei Stradivari-Geigen – auch in Altötting? Oder ist so ein Open-Air-Konzert gefährlich für solche wertvollen Geigen?

Ich gehe davon aus, dass es nicht hagelt an diesem Abend (lacht herzlich). Ich werde natürlich auf meiner Stradivari von 1710 musizieren.

Ich hoffe nur, dass man dies durch die Lautsprecherverstärkung auch mitbekommt.

Ich verstehe Ihre Bedenken und hätte sie vor Jahrzehnten noch geteilt. Es geht ja nicht um die bloße Verstärkung, man will ja die Inhalte transportieren, als ob man sich in einem akustischen Raum befände. Ich habe meinen eigenen Tonmeister dabei, um sicherzustellen, dass der Glanz meiner Geige und auch die Schattierungen des Orchesters in all ihrer Fülle und Bandbreite erlebbar sind. Es kann tatsächlich von Vorteil sein, ein gut übertragenes Open-Air-Konzert zu genießen im Vergleich zu einem Konzertsaal, der vielleicht – nehmen wir den Münchner Gasteig – suboptimal ist.

Frau Mutter, waren Sie schon einmal in Altötting?

Nein, ich war noch nie in Altötting – ja, es ist eine Schande!

Dann ist dieses Konzert auch für Sie eine Premiere.

Ja, eine Premiere in jeder Beziehung. Ich freue mich riesig darauf.

Interview: RAINER W. JANKA

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