Rosenheim – Es war eigentlich nur ein Zufall, dass sie von Hitler persönlich angestellt wurde: Dessen Privatsekretärin war kurzfristig verhindert, daher musste Christa Schroeder einspringen – und blieb schließlich auf Dauer auf diesem Posten. So kam es dazu, dass sie während der gesamten zwölf Jahre des „Dritten Reiches“ dem Diktator so nahe war wie kaum ein anderer Mensch. Ihre Erlebnisse aus dieser Zeit hat sie nach Kriegsende dem französischen Offizier Albert Zoller geschildert. Dieser war Verhörspezialist der Alliierten und traf sie 1945 in einem Internierungslager in Augsburg. Das, was sie ihm berichtete, hat er einige Jahre später veröffentlicht. Vor Kurzem ist eine neue Buchausgabe hiervon bei der Edition Förg erschienen – die Wiederentdeckung eines Zeitdokuments von unschätzbarem Wert.
Der Leser lernt Hitler aus einer weitgehend unbekannten Perspektive kennen: weniger mit Blick auf die große Politik oder auf die großen Verbrechen, sondern aus der Perspektive des Alltags. Wir erfahren, dass der deutsche Machthaber in geradezu neurotischer Weise um seine Gesundheit besorgt und doch gegen Ende seines Lebens ein kranker Mann war, dass er sich während der alliierten Bombenangriffe ängstigte, aber das Attentat Stauffenbergs auf ihn beinahe mit Galgenhumor aufnahm. Wir lernen ihn als verhinderten Künstler kennen, der diese Enttäuschung später mit einer bemerkenswerten Kunst-Sammelwut kompensierte. Und wir kommen zu der Erkenntnis, dass Hitler im Umgang mit Frauen durchaus etwas Gewinnendes gehabt haben muss, dem sich auch Christa Schroeder nicht entziehen konnte. Ihr eher abfälliges Urteil über Hitlers Partnerin Eva Braun erweckt den Eindruck, dass in diesem Zusammenhang durchaus ein leichter Schuss Eifersucht im Spiel gewesen sein könnte. Doch war Christa Schroeder durchaus bewusst, dass der Diktator nur allzu viele dunkle Seiten hatte. Manches davon hat sie im Alltag hautnah miterlebt: seinen Jähzorn, seine Rücksichtslosigkeit, sein nachtragendes Wesen. Und sie hat auch eine klare Meinung zu einer Legende, die sich bei manchen Hitler-Anhängern bis weit nach dessen Tod gehalten hat: dass der „Führer“ in manche der schlimmsten Verbrechen des Nationalsozialismus gar nicht selbst involviert gewesen sei. Wie sie es schildert, wusste Hitler von dieser Legende und hat sie selbst nach Kräften gefördert. Aber sie lenkt den Blick da und dort auch auf seine Mittäter: Besonders Martin Bormann, den sie als den „bösen Geist Hitlers“ bezeichnet, hat ihrer Ansicht nach eine schlimme Rolle gespielt. Und so bleibt die große Politik eben doch nicht außer Betracht, kann nicht außer Betracht bleiben: Wir lesen zu unserem großen Erstaunen, dass Hitler Josef Stalin, seinen ideologischen Gegner und großen Feind im Zweiten Weltkrieg, persönlich durchaus bewunderte. Und wir lernen seine Taktik kennen, wie er mit Machtkämpfen zwischen nationalsozialistischen Granden umging: Er hielt sich zunächst heraus und wartete ab, wer sich als der Stärkere herausstellte – dessen Partei ergriff er am Ende und stärkte damit seine eigene Machtposition.
Das waren nur einige wenige Schlaglichter aus einem Buch, das ein facettenreiches Bild von einem Menschen zeichnet, der so viel Unglück über die Welt gebracht hat wie kaum ein anderer. Vielleicht ist das eine der Erkenntnisse aus diesem Buch: In manchem jähzornigen Kleinbürger schlummern versteckte teuflische Fähigkeiten, mit denen er ungeheuerlichen Schaden anrichten kann, sobald man ihm zu viel Macht in die Hände gibt. Insofern eine Lektüre, die uns die Augen öffnet und uns nachdenklich macht.Bernhard Edlmann