Altötting – Vor wenigen Tagen trat, so der Lokalreporter, die „hinreißende Stargeigerin“ Anne-Sophie Mutter vor 3000 Besuchern der Ludwigsburger Schlossfestspiele auf. Das dortige Barock-Ambiente fehlte mit Enrico Zuccallis „Haus Papst Benedikt XIV.“ als Schauplatz ihres Auftritts auch in Altötting nicht, selbst wenn es von der Orchester-Muschel verdeckt war.
In unmittelbarer Nähe zur heiligen Kapelle mit der schwarzen Muttergottes wurde zum ersten Mal der Kapellplatz zum Klassik-Konzertsaal. Wo gewöhnlich Hunderte von Wallfahrern vor der Königin des Himmels stehen, sitzen, laufen oder niederknien, versammelten sich (nach Schätzung des Bürgermeisters) gut 2500 Klassik-Fans vor der seit nunmehr bald 50 Jahren amtierenden Königin des Violinspiels – ein Höhepunkt des diesjährigen Raiffeisen-Kultursommers.
Der die Menge begrüßende Altöttinger Rathauschef stellte mit Nachdruck vor Veranstaltungsbeginn fest: „‘S Weda hoit her!“ Und das blieb auch den ganzen langen Abend so: Der Himmel hatte ein Einsehen und trug wesentlich zum Erfolg dieser für die Wallfahrt-Stadt einmaligen Veranstaltung bei.
Der solitäre Charakter des Life-Auftritts Anne-Sophie Mutters erklärt sich allein aus einer Tatsache: Die unangefochtene Großmeisterin der Stradivari-Streichelnden bringt zur Freude derer, die nicht an Mozart oder Bach oder Tschaikowski kleben (die Anne-Sophie Mutter weiterhin nicht vernachlässigt), frischen Wind in die Konzert-Programm-Szene.
Der weht aus Hollywood herüber, wo es einen für die Mutter „großen symphonischen Dichter unter den Filmkomponisten“ gibt: John Williams. Er wurde auf kuriose Art ihr Freund.
Sie konnte es auch in Altötting nicht lassen, über diesen zeitgenössischen Ausnahme-Tonsetzer zu erzählen. Das lockerte auf. Das machte gute Laune. Das holte die Angehimmelte auf die Erde herunter. Wenn sie etwa preisgab, dass sie seit 1978 erklärter „Star Wars“-Fan und damit also dem Komponisten John Williams total verfallen sei. Von vielen Kino-Besuchen mit ihren beiden Kindern erfuhr das Publikum durchs Mikrofon, und es lag dieser volksnah wirkenden, lachenden und herzlichen Diva, die auf jegliche Allüren verzichten kann, zu Füßen. Das seit 75 Jahren bestehende Royal Philharmonic Orchestra legte unter der umsichtigen, impulsiven kolumbianischen Dirigentin Lina Gonzalez-Granados gekonnt und animiert den schillernd bunten Teppich für die ganz in Gelb gewandete Solistin aus, deren wundervoll zerzauste Haare ihrer Trägerin den Hauch einer kämpferischen Amazone verliehen.
Mit „Sound the Bells!“ begann, mit der Titelmelodie aus der „Star Wars Suite“ endete der Abend. Kein Zweifel: Die sieben Programmpunkte nach der Pause zielten mit „Harry Potter“, „E. T.“ und „Indiana Jones“ auf die Hollywood-Kino-Kenner ab, und wer dazu weniger Zuneigung hatte, der zehrte ganz entschieden von dem, was vor der Pause geboten wurde: Das von vor allem modernen Klassik-Freunden erwartete Violinkonzert Nr. 2 von John Williams in der authentischen Interpretation der Beschenkten. Wie es den Anschein hat, so gestand Anne-Sophie Mutter, hatte es ihrer Inspiration bedurft, dass dieses Werk der orchestralen Musikwelt vermacht wurde. Ein viersätziges Werk, das vom Frösteln ins Kuscheln und wieder heraus führt. Ein Werk, das zwei weitere Instrumente ins Spiel bringt, Harfe und Schlagzeug. Ein Werk, das das Duftige und Neckische, schmetterlinghaft Leichte und Filigrane eines Mozart mit den Irrsinnigkeiten eines Prokofiev verbindet und dadurch so manchen eiskalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Ein Werk, das durch seine traditionellen Anklänge sich an ein breites Publikum wendet und es – Mutter brachte das auf unnachahmliche Weise zum Ausdruck – für zeitgenössisch Symphonisches begeistern kann.
Der Raiffeisen-Kultursommer durfte mit diesem Konzert der klassischen Moderne eine neue Seite seines Geschichtsbuches aufschlagen. Wer die beiden großen Filmmusiker unserer Zeit live im Konzert erleben will, begebe sich am 21. Dezember nach Passau in die Dreiländerhalle. Dort erklingt neben Hans Zimmers auch John Williams Musik.