Erl – Anfangs saß er noch hochkonzentriert, in sich gekehrt, sehr reflektiert, ja fast vergrübelt, am Fazioli-Flügel, doch nach der Pause entledigte er sich mit seinem Sakko auch dieser Vergrübeltheit, wurde freier, gelöster, sprach zum und öffnete sich seelisch dem nicht sehr zahlreichen Publikum: Lucas Debargue, der 35-jährige französische Pianist, eröffnete den Reigen der Klavierabende in Erl. Sie bieten – bei anreizend günstigen Eintrittspreisen – jungen Pianisten ein Podium und fördern damit ihre Karriere.
Debargues Programm ist fast rein französisch: „Allez France!“ am Klavier. Sein Klavierspiel ist im Anschlag ausgeklügelt, sehr farbenreich und mühelos glitzernd. Die vielen schnellen Läufe, die vielen Verzierungen, die hochvirtuosen Anforderungen: scheinbar kein Problem für Lucas Debargue. Wichtiger aber ist: Debargue ist ein Philosoph am Klavier, durchdenkt und durchfühlt die gespielten Stücke intensiv, und alles, was aus seinen Händen kommt, wirkt kostbar, fragil wie Porzellan oder stabil wie Diamanten.
Mit Maurice Ravel begann’s: Die „Jeux d’eau“, die Wasserspiele, stäubten flüssig und leicht dahin, erst gegen Ende wurde Debargues Spiel unmerklich aufschäumender, sprühender und erregter. Samtweiche nachschlagende Akkorde prägten die Sonatine – „doux et expressif“, also süß und ausdrucksstark, heißt es ja für den Kopfsatz. Alles war klanglich subtil und gemessen geformt, den tongebenden Quartsprung hörte man deutlich durch alle drei Sätze.
Klaviermusik von Gabriel Fauré hört man in deutschen Konzerthäusern eher seltener. Debargue bot eine Auswahl aus dessen kleineren Stücken mit innig-zärtlicher Hingabe – als habe er den französischen Musik-Philosophen Vladimir Jankélévitch gelesen, der über Fauré schreibt: Faurés Zauber „ist kein entnervendes oder erschreckendes Mysterium, sondern ein beruhigendes Mysterium“. Er nennt es „Melotherapie“, Heilung durch Gesang. Ob verspielter, durch vielfältige Figuration fast aufgelöster Mazurka-Rhythmus (Mazurka B-Dur op. 32), melancholisch-sanfter Barkarole-Rhythmus (Barcarolle Nr. 9): alles ist klangzauberisch melotherapeutisch.
Das Nocturne Nr. 12 begann Debargue fast Fanal-artig, ließ es dann aber am Ende ins Nichts verschwinden. Dann aber gab er sich rückhaltlos der motorisch rauschenden Virtuosität hin im Impromptu Nr. 5 und vor allem im Valse Caprice Nr. 4, der sich anhörte wie ein Stück von Liszt nach dem Genuss einer Flasche Champagner.
Debargue komponiert auch: Seine d-Moll-Suite kleidet barocke Tanzformen in moderne Gewänder, die mehr und mehr das Barocke überwuchern.
Am Schluss gab’s dann Russisches, eine Sonate von Alexander Skrjabin. Debargue begann sie selbstbewusst-forsch, wurde dann selber ganz hingerissen und von der Musik entzückt, reizte alle Zustände dieses Psychodramas aus in stetigem Wechsel von höchster Erregtheit mit lyrisch innehaltenden Passagen, blieb dabei aber immer ganz klar in der Disposition und in der Spielweise, sodass sich die dichte Kontrapunktik in reinster Schönheit heraushob.
Das Publikum jubelte und bekam zwei Zugaben, eine, die „Après un rêve“ von Fauré verarbeitete und eine Improvisation von Debargue selbst. Die nächsten Klavierabende sind am Donnerstag, 17. Juli, mit Alexandra Dovgan und am Donnerstag, 24. Juli, mit Alexander Malofeev – Karten gibt es noch genügend. RAINER W. JANKA