Die umfangreichste und schönste Gedichtsammlung

von Redaktion

Vortrag über Goethes Begegnung mit Hafis bei der Goethe-Gesellschaft Rosenheim

Rosenheim – „Dieses Thema passt zur allgemeinen politischen und kulturellen Lage“ erklärte die Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft Rosenheim Dr. Barbara Mütter bei der Begrüßung der Literaturwissenschaftlerin Anne Bohnenkamp-Renken im Künstlerhof am Ludwigsplatz. Die Professorin sprach vor zahlreichen Zuhörern sachkundig und lebendig über Goethes geistige Begegnung mit dem persischen Dichter Hafis und beleuchtete Goethes Begriff der Weltliteratur.

Bohnenkamp-Renken zeigte zunächst einen codierten Liebesbrief von Marianne von Willemer an Goethe. Marianne hatte einige Gedichte von Hafis mit Ziffern versehen, sodass sie nur der Adressat entschlüsseln konnte. Die junge Frau, die zu Goethes „West-östlichem Divan“ eigene Gedichte beigetragen hatte, verband in den Jahren 1814 und 1815 zu Goethe eine tiefe Liebe. Den Sommer 1814 verbrachte Goethe in seiner Heimat, wo er Marianne kennenlernte, die Frau eines befreundeten Bankiers. Goethe verewigte sie in seinem Gedichtbuch als Suleika und sich als Hatem.

„Auf den persischen Dichter Hafis wurde Goethe aufmerksam gemacht von seinem Verleger Cotta, von dem er die erste deutsche Gesamtübersetzung des Divan von Hafis erhalten hat“, erklärte Bohnenkamp-Renken. Die Lektüre in einer Übersetzung eines Orientalisten habe ihn sofort zur eigenen Dichtung inspiriert. Hafis habe im 14. Jahrhundert in einer fernen Welt gelebt. Gleichwohl hätte Goethe bei Hafis viele Gemeinsamkeiten entdeckt, etwa Hafis´ skeptische Lebendigkeit, seine Klugheit, sein heiteres Talent und seine unorthodoxe Haltung, aber auch das Motiv des fortgeschrittenen Alters.

Die Hafis-Lektüre habe laut Bohnenkamp-Renken mit dem „West-östlichen Divan“ die Entstehung der umfangreichsten und schönsten Gedichtsammlung Goethes ausgelöst. „Goethe hat sich zwar in arabischer Schrift geübt, konnte die Texte von Hafis aber nicht selbstständig im Original lesen“, so Bohnenkamp-Renken. Wichtig sei ihm vielmehr die symbolische Bedeutung der Wörter gewesen. Gefallen habe dem Dichter der burschikose Ton der Gedichte. Im Divan vergleicht Goethe etwa die mehrdeutige Wirkung von Wein und Dichtung. Das Gedicht „Selige Sehnsucht“ sei direkt von Hafis inspiriert.

„Unter Weltliteratur versteht Goethe keinen Kanon, den man gelesen haben muss, sondern den Austausch von Literaturen und Literatoren seiner Zeit über nationale, sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg“, sagte Bohnenkamp-Renken. Gemeint sei ein Prozess, ein geistiger Handelsverkehr. Der Übersetzer spiele dabei eine zentrale Rolle: Die drei Verfahren der Übersetzung seien zum einen informierend, zum anderen eigne sich der parodistische Übersetzer das Fremde an, schließlich identifiziere er sich mit dem Original, in dem er sich auf das Fremde einlasse. „Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen“ so ein Zitat Goethes.

Anschaulich erläuterte Bohnenkamp-Renken eine Stelle im Faust II. „Der Blick direkt in die Sonne ist unmöglich, im Regenbogen sieht Faust jedoch einen farbigen Abglanz“, so die Professorin.

Das Wahre lasse sich nur in einem Spiegelungsprozess verstehen, das göttliche Gesetz könne nur geahnt werden. Goethes Divan sei ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Weltliteratur. Im Ginkgo-Gedicht komme die geheimnisvolle Verbindung von Einheit und Doppelung, von Polarität und Verschmelzung sinnbildlich zum Ausdruck. Georg Füchtner

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