Chiemsee/Herrenchiemsee – „Thamos, König in Ägypten“, ein prätentiöser Titel, der Langeweile verheißt? Das mag für das seinerzeit erfolglose Theaterstück gelten. In der Musik des 17-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart jedoch gewittert schon die spätere Zauberflöte: Energisch-feierliche Akkorde und blitzende Streicherfiguren verbreiten eine im wahrsten Sinne zauberhafte Aura, die sofort gefangen nimmt. Gar in dem abschließenden „Allegro vivace assai“ meint man im ersten Augenblick, der wild-barbarischen Hexe Baba Yaga zu begegnen.
Überraschender Auftakt
Besser und überraschender hätte das Basler Kammerorchester und seine israelische Dirigentin Bar Avni nicht ihren Auftritt inszenieren können, um das Publikum im Spiegelsaal von Herrenchiemsee im Nu für sich zu gewinnen. Im Mittelpunkt des spannungsgeladenen Programms ragte wie ein erratischer Block das große, düster in d-Moll getauchte Klavierkonzert KV 466 auf, ein Werk, das die Legende vom angeblichen „Kindskopf Wolferl“ Lügen straft. Und zudem ein Werk, das vom Solisten das Äußerste an Virtuosität wie auch an musikalischer Weisheit fordert. Die erst 18-jährige russische Pianistin Alexandra Dovgan ließ nicht lange zweifeln, dass sie in hohem Maße den Anforderungen gewachsen war. Sie achtete auf die Klarheit ihres Spiels und setzte das Pedal nur ein, wo es unumgänglich nötig schien. Keine verwischten Läufe waren im Angebot, und die kleinsten melodischen oder motivischen Details formte sie aus und erfüllte sie mit Leben. Aufregend ihr Sinn für Pianissimo; in dieser Hinsicht bot Mozart ja eine gehörige Bandbreite.
Große Ruhe strahlte die Interpretation der Romanze aus. Und doch verniedlichte die Pianistin dieses Stück nicht zur Idylle – die d-Moll-Tragik blieb unterschwellig immer präsent, auch wenn sie nach Dur auswich. Riesenbeifall für diese bescheiden wirkende junge Dame, die sich mit der Zugabe aus Beethovens drittem Satz der tiefsinnigen „Sturmsonate“ bedankte.
Haydns Oxford-Symphonie
Nach der Pause dann Joseph Haydns Symphonie Nr. 92 mit dem Beinamen „Oxford“. In einem renommierten Schallplatten-Tempel versuchte einmal der Verkäufer, dem Kunden die Haydn-Symphonien madig zu machen: „Alle gleich, alle langweilig!“ Horrende Inkompetenz spricht aus diesen Worten, denn exakt das Gegenteil trifft zu: Alle 104 symphonischen Werke sind so einfallsreich wie mannigfaltig in ihrer farbigen Erscheinung. Vor allem sprudeln bei Haydn witzige und überraschende Einfälle, immer wieder schlägt er Volten und Kapriolen, ohne dabei nur entfernt ins Oberflächliche zu rutschen. Manchmal scheint er die Hörer foppen zu wollen, er bricht eine Phrase plötzlich ab, nimmt sie wieder auf, bricht wieder ab. Als wollte er das Publikum fragen: „Na, wie wird’s wohl weitergehen?“ Ja, es geht natürlich weiter, aber ein klein bisschen anders, als man gedacht hatte.
Famose
Dirigentin
Doch nun wird es höchste Zeit, die Basler und ihre famose Dirigentin Bar Avni ins Rampenlicht zu holen. Haydns Witz nötigte auch dem Orchester immer mehr ein vergnügtes Lächeln ab. Die Dirigentin selbst strahlte entspannt, als wäre dieses Dirigat das höchste Vergnügen auf Erden. Bar Avni spornte ihre Musikerinnen und Musiker mit ausladender Körpersprache zu musikantischer Präzision an. Ihre eleganten Bewegungen waren nie Selbstzweck, sondern dienten einer präzisen und zielorientierten Impulsgebung.
Kein Wunder, dass Streicher, Bläser und Pauken sich nur zu gern davon inspirieren ließen. Der Beifall des Publikums im Spiegelsaal war „nicht endenwollend“!