Amerang – Die Mansarde des Dichters Rodolfo und des Malers Marcello ist im Dachgeschoss, durch die sehr hohen Fenster sieht man die Dächer von Paris sowie den Eiffelturm (Bühnenbild: Hendrik Müller). Rodolfo und seine Künstlerfreunde frieren ständig, sind aber dennoch fröhlichen Mutes, spaßen, albern rum und tafeln im Café Momus, wo ihnen der Koch (als solcher verkleidet: Ingo Kolonerics) Wurst und Brokkoli serviert: Brokkoli für die Bohèmiens. Wir befinden uns in der Oper „La Bohème“ von Giacomo Puccini auf der wohl kleinsten Opernbühne der Welt im Schlosshof von Amerang.
Der Impresario von „Oper im Berg“ und Regisseur Ingo Kolonerics hat die personenreiche Oper um die Chorszenen gekürzt. Die Szenen in der Mansarde und im Café Momus sind durch Mini-Mobiliar und einen Kanonenofen hinlänglich angedeutet, die Szenen vor dem Café und an der Stadtgrenze muss der Zuschauer erahnen, wenn er die Oper kennt: ein bisschen szenische Hilfestellung wäre da schon wünschenswert. Die buchstäbliche Schlüsselszene, in der Rodolfo und Mimi am Boden im Dunkeln den Schlüssel suchen, hätte deutlicher ausgespielt werden müssen, genauso wie die Rolle des Häubchens und des Muffs, die Mimi bekommt.
Dafür ist alles andere hautnah erlebt: Das kleine Orchester sitzt vor der kleinen Bühne und spielt sich farbenreich die Seele aus dem Leib, angefeuert von dem Dirigenten Patrick David Murray, die Bläser blitzen scharf und die Geigen schmelzen hinreißend – nur die beiden Celli konnten sich oft nicht auf die genaue Tonhöhe einigen.
Alles aber kommt auf die Sänger an – und da kann die „Oper im Berg“ durchaus prunken und protzen: Dass die meisten hier ihr Rollen-Debüt absolvieren, hört man nicht, man sieht’s nur: Mimi und Rodolfo singen ihre Liebesschwüre vor sich hin statt an ihren Partner gewendet. Suhyeok Kim als Rodolfo singt mit mühelosem und hell timbriertem Tenor, sicherer Höhe und feinem Piano und kann da mit den Geigen um die Wette schmelzen. Selin Dagyaran führt einen seelenvollen, fließenden und mädchenhaften, doch immer volltönenden Sopran ins Feld, in dem immer – ganz rollengerecht – eine kleine Träne mitzittert. In ihren Liebes-Duetten verschwenden beide sich grenzenlos und verschwenden so überreich „rime ed inni d‘amore“, wie Rodolfo singt, also Liebes-Reime und Liebes-Hymnen.
Die drei anderen Künstler gefallen mit munterem Spiel und lebhaft-solidem Gesang: Mantas Gazevicius als Musiker Schaunard, Vedat Dalgiran als dunkelgründiger Philosoph Colline sowie Nejat Isik Belen, der immer ein bisschen zu viel aufdreht, als Maler Marcello, dazu der ganz natürlich singende Eray Tozan in einer Doppelrolle als Hausherr Benoit und als Staatsrat Alcindoro, der die ganze Rechnung im Café Momus zahlen darf. Ebenfalls ein Rollendebüt feierte Oleksandra Dvoriatkina als Musetta: eine temperamentvolle, aber liebenswerte Kokotte mit einer vor Wohlklang und Fülle überfließenden Stimme, die der von Mimi ein bisschen ähnelt – ein gemeinsames Frauenschicksal.
„La Bohème“ wird noch einmal gespielt, am Freitag, 1. August, um 19.30 Uhr im Schlosshof Amerang.
RAINER W. JANKA