„Jedermann“ ist in Neubeuern zu Hause

von Redaktion

„Der Bayerische Jedermann“ feiert glanzvolle Premiere als Freilichtspiel

Neubeuern – Wer des Hofmannsthal’schen „Jedermann“ wegen seiner Mittelaltertümelei und Frömmelei überdrüssig ist, gehe nach Neubeuern: Die dortige Theatergemeinschaft mit dem umtriebigen Super-Impresario Heinz Baumgartner hat zum wiederholten Male den „Jedermann“ aufgeführt, natürlich in der bairischen Fassung von Oskar Weber, neubeurerisch modifiziert.

Zurück zum Volksschauspiel

Der Neubeurer „Jedermann“ holt dies Mysterienspiel aus der hochliterarischen Höhe zurück auf seine volksschauspielhaften Ursprünge. Spielort ist der Dorfplatz von Neubeuern vor der Pfarrkirche und unterhalb des Schlosses, in dem Hugo von Hofmannsthal Teile des Spiels geschrieben hat: Der „Jedermann“ ist nach Hause zurückgekehrt und dort zu Hause.

Das Regenwetter hat sowohl die Haupt- als auch die Generalprobe verhindert, trotzdem ist den Spielern eine authentische, packende und zügig abrollende Darstellung gelungen (Regie: Sophia Binder und Andreas Wiedermann). Man fiebert mit Jedermanns Schicksal mit, obwohl man es schon kennt. Großkotzig-zweispännig zieht Jedermann ein, schurigelt sofort seine Knechte und ordnet ein Fest an, das orgiastisch abläuft: Fanfaren blasen zum Anfang, Blasmusik zieht dann ein, die Vorsänger stimmen neben einem Zwiefachen eine Hymne auf Neubeuern und den Rosenheimer Biersponsor an, der das Bier in Strömen fließen lässt, alles frisst, säuft und tanzt, Jedermann spielt Trompete, und während die Plattlergruppe plattelt, verschwinden Jedermann und seine Buhlschaft unter dem Tisch zwecks Intensivierung ihres Busselns – bis der Tod sie stört.

Besonders berührend ist: Alle Spieler sind keine im wörtlichen Sinne Schau-Spieler, sondern wirkliche Menschen, die etwas (er)leben. Alle Rollen, auch die Nebenrollen, sind erstklassig besetzt: Bernd Eutermoser ist anfangs der geldgierige, breitspurig-präpotente, arrogante und gnadenlose Jedermann, der dann aber genauso glaubhaft und kraftvoll die Todesverzweiflung ausspielt. Susanne Schörghuber steht zum ersten Mal auf einer Bühne – und dann gleich als Buhlschaft: groß, Brigitte-Bardot-blond und erotisch lockend umbuhlt sie in feuerroter Robe ihren Jedermann, stürzt dann aber schreiend davon, wenn der Tod kommt. Den gibt Simon Steiner in elegantem Schwarz als kühlen Businessman mit Aktenkoffer und lauernd-fordernder Diktion.

Sebastian Berndt als geldgeiler Freund, der stimmgewaltige Tommi Grabl und der hellstimmigere Elmar zur Hörst als Vettern sind Jedermanns Saufkumpane. Erbarmungswürdig winselt Anton Kathrein als armer Nachbar um Überlebenshilfe, eindringlich beschwört Jedermanns Mutter (Cilla Höhensteiger) ihren Sohn zu gottgefälligem Leben. Zu Musik von Bach tritt Richard Lindner als mahnender Gott cool im Trenchcoat auf, die Guten Werke (innig: Veronika Englberger) anfangs mit Krücke, bis der Glaube sie stärkt. Außertextlich eingefügt ist der „Zeitgeist“, den Rudolf Binder rhetorisch gewandt verkörpert. Er geißelt in selbstverfassten Versen die scheinfrommen Gesinnungen.

Herausragend sind der Mammon und der Teufel: Fettgoldglänzend und angetan mit Lederhose und Goldmantel entsteigt Markus Leitner der Geldtruhe, die wie ein Riesensarg wirkt, lacht verachtungsvoll meckernd, führt Jedermann wie am Nasenring herum und schmust ihn fast zu Tode. Johanna Krinninger hatte früher die Buhlschaft gespielt, jetzt ist sie die Teufelin: Sie stürmt durchs Publikum auf die sich rot färbende Bühne, zündet sich am eigenen Höllenfeuer eine Zigarette an und tänzelt dann in sexy Corsage und feuerroten Leggings herum. Doch die ganze höllische Erotik zündet nicht: Der Glaube ist stärker. Miriam Thoma spielt ihn klar und gütig-streng, nur etwas eilig in der Diktion.

Pfarrkirche
fungiert als Himmel

Wenn am Ende der nun reuige Jedermann, geleitet von süßen Engerln, zur harfenumspielten Musik von „In Paradisum“ aus dem Requiem von Gabriel Fauré (gesungen von der Beurer CantaRhei) im Himmel eintrifft, sprich der Neubeurer Pfarrkirche, deren Fenster jetzt erleuchtet sind, sind alle Zuschauer gerührt und gepackt: Jedermann ist im Himmel und zu Hause. Wer das erleben möchte: Gespielt wird bis zum 7. August, es gibt noch Restkarten bei München-Ticket oder an der Abendkasse.

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