Mit erschütternder Intensität

von Redaktion

Das Hagen-Quartett gastierte bei „Festivo“ mit Schubert und Schostakowitsch

Aschau – Wenn Dmitri Schostakowitsch in seiner Musik rohe, brachiale Gewalt darstellen möchte, tut er das in Gestalt derber russischer Volkstümlichkeit. Davon zeugen zahllose martialisch stampfende Scherzo-Sätze in seiner Kammermusik und den Sinfonien. Das gehörte zur subversiven, doppeldeutigen Strategie des im August 1975 in Moskau verstorbenen russisch-sowjetischen Komponisten.

Tönende Fratze
des Bösen

Die russische Volkstümlichkeit wird bei Schostakowitsch zur tönenden Fratze des Bösen. Genau das passiert im dritten Satz aus dem Streichquartett Nr. 3 von 1946. In diesem Sinn ist eine Aufführung dieses Werks in unserer Zeit geradezu hochbrisant und erschütternd aktuell. Es geht dabei nicht einfach um den 50. Todestag Schostakowitschs, der gegenwärtig in der Musikwelt gewürdigt wird. Im Osten Europas tobt vielmehr ein Krieg, den Russland begonnen hat.

Vor diesem Hintergrund lässt einem das wüste, derbe Stampfen im Scherzo-Satz aus dem Streichquartett Nr. 3 buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren. Das gilt vor allem, wenn es derart roh und böse dargestellt wird wie jetzt durch das legendäre Hagen-Quartett bei „Festivo“. Aus diesem Scherzo wurde eine Orgie der Gewalt. Im ausverkauften Preysingsaal von Schloss Hohenaschau herrschte betretene, betroffene Stille.

Das Gastspiel dieses Quartetts wurde generell ein Höhepunkt. Als Streichquartett haben Lukas Hagen und Rainer Schmidt (Violinen) sowie Veronika (Bratsche) und Clemens Hagen (Cello) Musikgeschichte geschrieben. Seit rund einem halben Jahrhundert setzen sie regelmäßig Maßstäbe in der Interpretation. Noch ein Jahr sind sie als Quartett aktiv, danach lösen sie sich in dieser Formation offiziell auf.

Für ihr letztes Konzert im exklusiven, intimen „Festivo“-Rahmen reisten die vier Musiker mit Schostakowitsch und Franz Schubert an. Beide Komponisten zählen zu ihren besonderen Spezialitäten. Ihre Schostakowitsch- und Schubert-Einspielungen zählen zum Besten überhaupt. Die Interpretation des Streichquartetts Nr. 3 offenbarte einmal mehr, wie hellhörig sie Schostakowitsch einfangen.

Das gilt für den subtilen Humor genauso wie für den Lyrismus oder den bösen Scherzo-Charakter. Mit Schuberts letztem Streichquartett D 887 folgte nach der Pause ein weiteres Gipfelwerk der Kammermusik. Die Crescendo-Decrescendo-Bögen, von Dur ins Moll kippend, wurden im Spiel des Hagen-Quartetts zu veritablen Siegeln des Schicksals. Auf ähnliche Weise wird Schubert zwei Jahre später, in seinem Todesjahr 1828, auch sein Streichquintett eröffnen.

Ein zwingendes Narrativ

Wie zuvor bei Schostakowitsch gelang es dem Hagen-Quartett auch bei Schubert, die unterschiedlichen Charakteren zu einem absolut stimmigen, zwingenden, in sich geschlossenen Narrativ zu vereinen. Man mag darüber streiten, ob die Intonation an diesem Abend stets optimal war, aber: Das Zusammenspiel wirkte kohärent und konsequent. Eine unerhörte Ereignisdichte war da zu erleben, große Kammermusik-Kultur eben. Die offizielle Auflösung des Hagen-Quartetts wird eine schmerzliche Lücke markieren.

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