Wasserburg – Zeitgenössische Kunst aus ungewöhnlichen Materialien erwartet derzeit die Besucher der Ausstellung „Unsere Herzen werden schnell wachsen“ in der ehemaligen Polizeistation. Die aus Istanbul stammende Künstlerin Gözde Ju zeigt dort noch bis Mitte Oktober faszinierende Fadenbilder und ausdrucksstarke Textilinstallationen.
Der Arbeitskreis 68 nutzt während der Sanierung des angestammten Ganserhauses die ehemalige Polizeistation als Ausweichgalerie. Für die fünfte Ausstellung im Wasserburger Salzstadel wurde die in Frankfurt am Main lebende Künstlerin Gözde Ju gewonnen. Sie hat ihre Werkschau „Unsere Herzen werden schnell wachsen“ genannt. Und so ungewöhnlich wie der Ausstellungstitel sind auch die Arbeiten in ihrer Einzelausstellung. Auf rund 400 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt Ju jetzt das Ergebnis der letzten fünf Jahre ihrer künstlerischen Tätigkeit.
Gözde Ju arbeitet bevorzugt mit Nähen und Stickerei, mit gefundenen Objekten, Videoinstallationen und Fotografie. Sie kombiniert Textilien und Stickereien mit Mini-Aufnahmen und verwandelt diese in neue, komplexe Werke, in denen die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher gefordert wird. Besonders eindrucksvoll sind ihre freihändig gestickten Porträts auf Tüll, die alten Fotos neues Leben einhauchen. In ihrer Kunst wird deutlich, welche starke und verbindende Rolle Frauen in ihren Familien spielen. Mit traditionellen Techniken in der Handarbeit wie Nähen und Sticken verbindet sie Erlebtes zwischen Vergangenheit und Gegenwart. So schafft sie eine Brücke zwischen Kulturen und Generationen. Lässt man sich darauf ein, erzählen ihre Fadenbilder ganze Geschichten zur eigenen Identität in ihrer Heimat der Türkei. In einer meist noch patriarchalisch geprägten Welt verwendet sie Nähnadel, Faden und geklöppelte Spitze, also typische Attribute, die mit weiblicher Arbeit assoziiert werden, um auf ihre Rolle in der Gesellschaft und die Frauenrolle in einer meist von Männern dominierten Erlebniswelt aufmerksam zu machen. Die bildlichen Darstellungen sind oft nur fragmentär und stecken dennoch voller emotionaler und selbstbewusster Ausdruckskraft – kurzum sie sind einfach nur brillant. Auch die starke, tragende und verbindende Rolle der Frauen innerhalb einer, vordergründig von Männern dominierten Kultur kommt in ihren Arbeiten immer wieder zur Geltung.
Gözde Ju hat nach dem Besuch eines Kunstgymnasiums an der staatlichen Universität Anatoliens in Eskisehir Grafik und Malerei studiert. Heute lebt und arbeitet sie in Frankfurt am Main. Ihre Werke wurden bereits in vielen Ländern ausgestellt und sind in öffentlichen wie privaten Sammlungen vertreten.
Wolfgang Janeczka