Rosenheim – Friedrich Schillers „Räuber“ sind alle Mädchen? Karl und Franz Moor sind ebenfalls Frauen? Also Schillers Machismo so aufbrechen? Kann man machen – hat Schiller doch in seinem Drama nur eine einzige Frauenrolle vorgesehen, nämlich Amalia, um die sich die zwei Hauptfiguren Karl, der eigentlich gute Räuberhauptmann, und Franz, die Canaille, auch noch streiten. Sie also stumm zu machen, ist auch logisch. Für sie spricht dafür der fünfköpfige Mädchenchor in weißen Hängekleidchen, der alles erklärt, kritisiert und auch mal bespöttelt.
Publikum
vergibt die Rollen
Auch Karl und Franz sind Frauen, deren jeweiligen Rollen sich anfangs zufällig durch Publikumswahl (die nicht so richtig funktioniert) ergeben, um den Zufall der Erstgeburt und damit die Grafen-Nachfolge zu demonstrieren.
Dies alles hat eine eigene dramaturgische Stringenz: Sebastian Kießer, der Regisseur und Intendant der Theatertruppe „Innszenierung“, wollte auf keinen Fall eine „normale“ Aufführung machen. Sie sollte auch eine Ergänzung, Verschränkung, vielleicht Doppelung, auf jeden Fall eine Entmusealisierung von Verdis Oper „I Masnadieri“ sein, der das Schiller-Drama mit höchst wirkungsvoller, furios-dramatischer Musik vertont hat.
Franz Hawlata, der in Haidholzen lebende, aber weltweit agierende Bassist, wollte es so und hatte sich deshalb mit Kießer kurzgeschlossen. Im Theatersaal des Künstlerhofs ereignete sich so ein gewagtes, aber durchaus gedankenreiches Theaterexperiment.
Regiegedanken sind das eine, die Umsetzung auf der Bühne ist das andere. Zu Beginn liegen zwei gleich gekleidete Figuren in Embryo-Haltung auf der Bühne, nach der Publikums-„Wahl“ wird die eine als Karl in Hose und weißes Hemd und mit schönem offenen Haar eingekleidet, die andere in schmutzigbraun, ihr wird eine Andeutung eines Buckels hinzugefügt und der eine Arm hängt steif herunter: eine Art Abwandlung des schurkisch-bösen Shakespeare-Helden Richard III. Wenn am Ende alle sterben, stürzen von oben Ströme von Blut auf alle hernieder, die weißen Kleidchen sind beschmutzt und die Hauptfiguren liegen wieder wie Embryos am Boden: Bereit für den nächsten Versuch?
Der fünfköpfige, oft rhythmisierend sprechende Mädchenchor bringt immer wieder Bewegung in das sonst statische Rede-Duell-Geschehen: Er führt Amalia wie eine Puppe herum, liest die verhängnisvollen falschen Briefe vor, erzählt den grausamen Überfall auf ein Nonnenkloster und distanziert sich öfter vom Text: Entweder bespöttelt er den dramatischen Sinn der Geschichte oder er parodiert psalmodierend die Figur des Pastors Moser, der Franz ins Gewissen redet: eine der besten Szenen, die auch andeutet, wohin eine strengere Distanz zum Text hätte führen können: zur Dekonstruktion des Dramas.
Aber fast alle Schauspielerinnen – sie sind nur als Ensemble benannt: Veronika Barthel, Antonia Gambardella, Leona Heinz, Hanna Lauble, Valentina Micelli, Anna Schmidt, Katharina Schwerdtel – nehmen ihrer eifrigen Schauspielkunst die Wirkung: Sie artikulieren zu undeutlich, sind zu leise (noch dazu bei der so lauten Lüftung) oder verschlucken die Satzenden. Nur die Schauspielerin des Franz wird, wenn sie wütig wird, deutlich, und ein Chormitglied überzeugt mit heller klarer Diktion.
Leise sind dafür nicht die Musiker und sie gehen auch nicht in Distanz zum Text, sondern gehen singend darin auf: Stellario Fagone entwickelt am Klavier oft brodelndes Verdi-Brio, Markus Herzog überzeugte als Carlo mit flammender Tenor-Strahlkraft und Yvonne Steiner als Amalia mit feiner Koloraturkunst, Franz Hawlata lieh dem Vater Moor (Massimiliano) seinen schmerzvoll-knorzigen Bass.
Opern-Star auf
der Provinzbühne
Das Böse ist immer am wirkungsvollsten: Thomas Gazheli, dessen Auftritt in Rosenheim an ein kleines Wunder grenzt, weil er sonst auf den Opernbühnen der Welt zu Hause ist, sang seinen Part als Francesco mit einer so bassig-bösen Wucht und einem so schnaubenden Ingrimm, dass es ihn fast beim Singen zerreißt: Das ist Schiller’sches und Verdi’sches Pathos zusammengenommen. Das überlange Opern-Ende hätte man straffen können und alle Sänger wären dramatisch wirkungsvoller gewesen, wenn sie wie Gazheli ohne Noten gesungen hätten, aber insgesamt beschlich einen der Gedanke: Ob Verdi nicht der bessere Schiller ist?
War es nun einer Veroperung des Schauspiels oder eine erklärende Vertextung der Oper? Keins von beiden, sondern eine Vermengung, die sich gegenseitig reibt und so manche dramatische Entzündung bringt, so wenn Franz, die Canaille, sich einmütig lächelnd an den vor Wut fast berstenden Sänger Francesco schmiegt oder ein Freudentänzchen mit ihm wagt. Ein Experiment war’s, das vor allem eins war: nie langweilig. Und das ist viel.