Pittenhart – Großartiges leisteten der Chor „Sänger ohne Grenzen“ und die „Capella Regalis“ sowie die Solisten Eva-Maria Amann (Sopran), Vanessa Fasoli (Alt), Manuel Warwitz (Tenor), Bongo Karadjov und Martin Hörberg (Bass) unter der Leitung von Michael Anderl bei der Aufführung der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach in der St. Nikolaus Kirche in Pittenhart. Ein geistliches Konzert, das entsprechend dem Namen des Instrumentalensembles „Capella Regalis“ am darauffolgenden Tag in St. Nikolaus in Rosenheim ebenso „königlich“ erklang. Diese Passion besteht aus Chorsätzen – andächtig-ehrerbietigen Chorälen einerseits und Turbae, in denen die Stimme der aufgebrachten Volksmenge zum Ausdruck kommt.
Petrus beklagt
seine Missetat
Der Tenor Manuel Warwitz gestaltete als Evangelist die ihm zugedachten Rezitative mit weicher Stimme und angenehmer Flexibilität in der Höhe. Am Ende des ersten Teils schlüpfte er in die Rolle des Petrus und bereute in einer Arie seine Missetat, Jesus verleugnet zu haben. Im zweiten Teil überwogen die Turbae-Chöre, die die dramatische Spannung durch den Gegensatz zu den Gebetsinhalten der Choräle steigerten. Musikalisch unterscheiden sich die Turbae von den Chorälen dadurch, dass sie Fugen – nacheinander einsetzende Stimmen mit demselben Motiv – enthalten, die das Durcheinander im Volk symbolisieren sollen, während in den Chorälen eine auf Dreiklängen aufgebaute Melodielinie verfolgt wird. So singt das Volk: „Sei gegrüßt, lieber Jüdenkönig“, oder es schreit „Kreuzige, kreuzige“! Und findet auch gleich einen Grund dafür: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben! Denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht“. Gleichzeitig wird Pilatus aufgehetzt: „Lässest du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht! Denn wer sich zum Könige machet, der ist wider den Kaiser“. Das bestätigt die Menge mit: „Wir haben keinen König denn den Kaiser“.
Die „Sänger ohne Grenzen“ brachten den charakteristischen Klang der gegensätzlichen Chorsätze und Botschaften auf höchstem gesanglichen Niveau zur Geltung. Wie gut Bach Wort und Musik in Einklang brachte, sodass die beiden Sprachen einerseits zu einem religiös-andächtigen Ausdrucksmittel wurden, andererseits „das Böse“ vielschichtig ausdrückten, zeigten Chor und Soli in Perfektion. Die Sopranistin Eva-Maria Amann wandte sich mit kristallklarer Höhe in ihren Arien einerseits direkt an Jesus („und lasse dich nicht, mein Leben, mein Licht“), andererseits an ihr Herz („Erzähle der Welt und dem Himmel die Not: Dein Jesus ist tot!“). Ihre glockenhelle Sopranstimme wirkte wie ein Cantus firmus, der virtuos von einer oder zwei Traversflöten umspielt wurde. Die Altistin Vanessa Fasoli stellte in ihren ebenso wunderbaren Arien das Heilende durch Jesu Tod heraus und verkündete zugleich koloraturreich das siegreiche Ergebnis: „Es ist vollbracht“. Der Bass Bonko Karadjov trat als Jesus in Dialog, zum einen mit seiner Seele, dann mit den Seelen der anderen Menschen und schließlich in einer gemeinsamen Arie mit dem Chor mit Jesus selbst („Mein teurer Heiland …, kann ich durch deine Pein und Sterben das Himmelreich ererben?“), eine Arie, in der alle Sänger die wohl wichtigste Frage aller Menschen stellen. Die Rolle des Pilatus sang der sehr gut ausgebildete Bass-Solist des Chores, Martin Hörberg, ebenso wie ein weiterer Chorsänger, der sein Talent als Diener und gegen Ende als Tenor im Solistenquartett („Eilt, ihr angefochten Seelen“) unter Beweis stellte.
Der homogene Gesamtklang aller Solo- und Chor-Stimmen führte inhaltlich und musikalisch zum Höhepunkt im letzten Choral „Ach Herr, lass dein lieb Engelein“, dessen erste Zeilen des Solistenquartetts vom Chor fortgesetzt wurden („Alsdann vom Tod erwecke mich, dass meine Augen sehen dich“). Das Sterben Jesu – übertragen auf alle Menschen – als Übergang in eine geistige Welt wurde musikalisch feinsinnig zelebriert und mit „Ich will dich preisen ewiglich!“ auf den Lobpreis hingeführt.
In vollkommenem Einklang mit den Sängerinnen und Sängern musizierte die „Capella Regalis“ auf historischen Instrumenten, sodass diese historisch informierte Aufführung auf allen Ebenen zu einem wunderbar-großen Ganzen geriet und das Himmlische auf Erden spürbar machte.