von Redaktion

Großkarolinenfeld – Seit 2012 bespielt der Maler und Musiker Andreas Legath historische Kirchen entlang des Inns mit erlesenen Konzertprogrammen, die Musik mit Schauspiel zusammenbringen, als wahres „theatrum sacrum“, wie es die Jesuiten in der Barockzeit initiiert haben.

„Kirchliche Liturgie ist im Kern dramatisches Geschehen“, schreibt dazu Legath. Der jüngste Ort dafür ist die 1822 erbaute und frisch renovierte Karolinenkirche in Großkarolinenfeld, die ausdrücklich als offizielle „Kunststation“ der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern fungiert.

Legath hat sie mit seinen großformatigen erdfarbenen und schrundigen Bildern behängt, die Bühne dominiert ein hochformatiges Bild: Unten kreuzen sich Leitern in einer kriegszerstörten Stadt, die an die Bilder aus Gaza erinnert, mal wird ein rotes Kreuz angestrahlt und darüber ist ein wellenförmiges Gebilde, das wie eine wilde Gemütsbewegung wirkt, vielleicht wie die Wut, die sich in „Stabat mater furiosa“ Bahn bricht, einem Gedicht, das Jean-Pierre Siméon in Reaktion auf den libanesischen Krieg von 1997 verfasst hat und das jetzt wieder erschreckende Aktualität gewonnen hat. Darin formuliert eine Mutter ihre Wut („Ich spucke auf den Krieg!“) und zählt wutentbrannt alle Tötungswerkzeuge auf, die es nur gibt.

Anne Bennent spuckt ihre Worte genau artikuliert und dringlich skandiert aus, stellt diesen Text vor, indem sie ihn mit einer Taschenlampe anleuchtet und ihn so suchend und staunend spricht.

Genau hat Legath diesen Text verflochten mit dem lateinischen Text des mittelalterlichen „Stabat mater“, für das es unzählige Vertonungen gibt, woraus Legath drei ausgewählt hat: die berühmte von Pergolesi, die bekannte von Vivaldi und die fast heiter-anmutige von Boccherini. Sie fasste er zu einem „Pasticcio“ zusammen, also einer Mischung aus verschiedenen Kompositionen.

Diese Musik begleitet oder verkörpert die dramatischen Aktionen: Die beiden Akteure, ein Sopran (Marianna Herzig) und ein Altus (Tobias Hechler) treten anfangs in Tarnfleckuniformen auf, die sie bald durch weiße härene Gewänder ersetzen. An zwei Leitern hängen die später verwendeten Requisiten.

Die Sopranistin sammelt verdorrte Sonnenblumen, entrollt später ein Bild, das Maria durchbohrt von sieben Schwertern zeigt: Maria von den Sieben Schmerzen, eben die Mater dolorosa. Sie singt das Bild an, rückt ihm näher und scheint fast mit der gemalten Maria zu verschmelzen. Parallel zum gesungenen Text („Tui nati vulnerati“: „Die Qualen deines verwundeten Sohnes teile mit mir!“) überschütten beide sich mit Blut und fügen sich gegenseitig die Wundmale zu, betrachten ein Kruzifix, setzen sich eine symbolische Dornenkrone auf, bilden zu der schwärmerischen Boccherini-Arie eine marmorhafte Pietà und besteigen zum Schluss, wenn’s ins Paradies geht, die Leitern und lassen beim „Amen“ Asche herunterrieseln: das Ende jedes Lebens.

Dass Tobias Hechler am Morgen des Konzerts seine Stimme verloren hatte und deswegen stumm, mit Corona-Maske, agiert, während eine superschnell herantelefonierte Ersatz-Altistin von vorne singt (Laura Kießkalt), tut dem Geschehen keinen Abbruch. Marianna Herzig zieht die Gesangslinien fein instrumental, lässt sie dann aber, wenn’s schwärmerisch wird, klagereich und leidenschaftlich aufblühen.

Ihr antwortet Laura Kießkalt mit einer klaren und doch warmblütigen Altstimme. Einmal übernimmt die Blockflöte eine der Arien. Das Cantate Ensemble unter der Leitung von Andreas Legath schärft die Dissonanzen, verstärkt die schmerzreichen Harmonien und ständigen Vorhalte, bleibt aber immer wohltuend begleitend.

Nach einer Weile des Nachsinnens brandete der Beifall stark auf und hielt lange an: Die von Legath im Programmheft angesprochene geistige Vergegenwärtigung des Leidens durch gemalte Bilder, theatralische Darstellung und passgenauer Musik zeigte Wirkung.

RAINER W. JANKA

Mater dolorosa mit den sieben Schmerzen
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