Thansau – Es war eine „Festivo“-Saison der Superlative. In seiner über 30-jährigen Geschichte wurde das Aschauer Kammermusik-Festival noch nie von so vielen Menschen besucht. Für Johannes Erkes, Gründer und Leiter der Reihe, war es ein sichtlich bewegender Moment, als er beim großen Finale diese Bilanz ziehen konnte. Dieser überragende Erfolg erstaunt freilich nicht, denn: Bei „Festivo“ bleibt man sich treu und setzt stets auf Qualität – ohne Kompromisse.
Beharrliche
Weiterentwicklung
Gleichzeitig werden Konventionen nicht zementiert. Die beharrliche Weiterentwicklung gehört genauso zum Markenzeichen dieses Festivals. Der diesjährige „Festivo“-Ausklang hat das alles beispielhaft gelebt. Mit dem „Atrium“ von Schattdecor in Thansau bei Rohrdorf wurde ein neuer, exzellenter Saal bespielt, auf dem Podium ein ganz besonderer Flügel. Er ist der letzte Flügel von Arturo Benedetti Michelangeli.
Das Instrument wurde eigens für den Jahrhundert-Pianisten aus Italien entworfen. Seit dem Tod der Klavier-Legende im Juni 1995 stand der Flügel im Münchner Gasteig. Die Generalsanierung machte nun einen Umzug des Flügels notwendig. Er ist jetzt im Besitz von Walter Schatt und steht im neuen „Atrium“. Über das Instrument wurde bereits eine Fernseh-Doku gedreht, im Rahmen der „Arte“-Reihe „Sternstunden der Musik“.
Der neue Spielort von Schattdecor ist ein echter Hingucker, die Akustik optimal. Umso besser waren die Voraussetzungen, als nun beim großen „Festivo“-Finale der Michelangeli-Flügel offiziell eingeweiht wurde.
Mit Alexander Lonquich kam ein Pianist der allerersten „Festivo“-Stunde zurück. Für sein erstes Gastspiel nach längerer Zeit hatte er ein stilistisch vielfältiges Programm geschnürt, das zugleich den Michelangeli-Flügel perfekt beleuchtete.
Mit der Klaviersonate Wq 65 Nr. 47 und der Fantasie Wq 67 waren zwei Werke von Carl Philipp Emanuel Bach vertreten, die selbst für den empfindsamen Stürmer und Dränger ziemlich kühn sind. Allein im Sonaten-Kopfsatz wirkten die Stimmführungen harmonisch überaus radikal, geradezu irritierend wirr die plötzlichen Zäsuren. Der zweitälteste Bach-Sohn greift hier weit in die Zukunft vor, vielleicht zu weit, denn: Diese Sonate blieb zeitlebens unveröffentlicht.
In seinen Gestaltungen hat Lonquich die Radikalität noch zusätzlich betont, um gleichzeitig in der Dynamik eine feine Schattierung herauszuarbeiten. Der Michelangeli-Flügel wurde auf die Probe gestellt, geradezu einzigartig der Farbenreichtum, was Lonquich ebenfalls hörbar machte. Zwischen zupackender Schroffheit und kantablen Lyrismus changierte auch die späte Klaviersonate Nr. 30 von Ludwig van Beethoven.
Mit den „Novelletten“ op. 21 folgte nach der Pause eine Schumann-Rarität. Jedenfalls hört man diesen Zyklus im Konzert viel zu selten. Lonquich zeigte auf, wie sehr hier bereits der ganze Robert Schumann präsent ist. Ein „Impromptus“ von Frédéric Chopin und ein Walzer von Alexander Skrjabin rundeten als Zugabe den Abend sinnstiftend ab. Das neue „Atrium“ von Schattdecor zählt fraglos zu den besten Kammersälen in Oberbayern.
Eine neue Ära
könnte anbrechen
An einem Konzept zur Bespielung des Saals und des Michelangeli-Flügels wird derzeit gefeilt. Es wäre absolut wünschenswert, wenn künftig alle Schattdecor-Konzerte von „Festivo“ im „Atrium“ steigen würden. Für den Flügel wünschte man sich feine, hellhörige Exegeten wie Dejan Lazic oder William Youn, den früheren Co-Leiter der „InselKonzerte“. Eines ist klar: Bei „Festivo“ bricht eine neue Ära an, die Potenziale sind jedenfalls gewaltig.