Vier Beine gut, zwei Beine besser

von Redaktion

Willkommen auf dem Bauernhof in der 25. Spielzeit des Theaters Wasserburg

Wasserburg – Mit einem grellen Knall startet das Theater Wasserburg in seine 25. Spielzeit: George Orwells „Animal Farm“ wird zur schrillen Stallshow – Macht, Manipulation und Verrat an Idealen – bitterböse und erschreckend aktuell.

Vorm Wasserburger Theater hängt eine Discokugel am Kran. Sie leuchtet rosa und zieht die Blicke an. Ist sie ein Instahotspot oder ein Verweis auf die rosa Ferkel im Stück? Abwarten… Schließlich ist das kleine Schauspielhaus am Inn für Überraschungen gut und für gelungene Inszenierungen.

Regisseurin Annett Segerer verwandelt die Bühne in einen bunten Spielzeugbauernhof. Dessen Pixeloptik erinnert an frühe Computerspiele. Dazu läuft quiekend Gameshow-Sound. Doch hinter der verspielten Oberfläche lauert der Abgrund.

Rebellion gegen
tyrannischen Bauern

Die Tiere der „Herrenfarm“ rebellieren gegen den tyrannischen Bauern Mr. Jones. Die Revolution gelingt – zunächst. LED-Spruchbänder zeigen diese Selbstermächtigung eindrucksvoll. Dort erscheinen der neue Name „Faarm dea Tiere“ und die neuen Gesetze: „Alle Tiere sind gleich“. Doch bald zeigt sich: Gleichheit ist nur Fassade.

Annett Segerer und ihre Regieassistentin Lea Luisa Schönhuber arbeiten mit viel Liebe zum Detail. Das Ensemble brilliert in rasanten Rollenwechseln. Mit einfachen Requisiten – Bauhelmen, Hörnerhüten, Klauenhandschuhen – entstehen lebendige Tierfiguren. Besonders eindrucksvoll: Thorsten Krohn als Katze und Susan Hecker als eitle Schimmelstute Molly. Das stufenförmige Bühnenbild mit Balustraden erlaubt schnelle Verwandlungen. Kurz dahinter abtauchen und etwa mit einem Haarreif mit Ohren sowie Schweinenase wieder auftauchen als Ferkel, das Kampflied grunzend – ein choreografisches Meisterstück.

Doch Orwell bleibt Orwell: Die anfängliche Euphorie kippt in eine düstere Vision. Die Schweine übernehmen die Macht. Hilmar Henjes spielt den Eber Napoleon als herrschsüchtigen Anführer mit krimineller Energie. Sein Gegenspieler ist das Schwein Schneeball, von Andreas Hagl als idealistischer Visionär verkörpert. Schneeball will, dass die Tiere eine Windmühle bauen. Sie soll Strom liefern und eine Drei-Tage-Woche für alle ermöglichen. Doch Napoleon vertreibt Schneeball und macht ihn zum Sündenbock. Das Propaganda-Ferkel Quieker darf entsprechende Verschwörungstheorien verbreiten, die anderen Tiere geschickt manipulieren. Rosalie Schlagheck begeistert mit perfektem Denglisch und eingestreuten „Oinks“. Die Figur erinnert bewusst an Sprecherinnen moderner Despoten. Orwell schuf seinen Roman „Animal Farm“ 1943 – als bissige Allegorie auf den Kommunismus und dessen Entzauberung durch den Stalinismus. Die Farm steht sinnbildlich für die Sowjetunion. Napoleon („Napoleon hat immer recht“) verkörpert Josef Stalin, Schneeball steht für Leo Trotzki. Dass die „Farm der Tiere“ in Wasserburg heute alles andere als verstaubt wirkt, liegt an der klugen Regie von Annett Segerer – und an der Weltlage. Ihre Inszenierung zeigt die Parallelen zur Gegenwart deutlich auf.

„They are eating the dogs, the cats…“ wird an einer Stelle von den Menschen über die Animal Farm kolportiert. Im Programmheft wird dann auch Richard Blair, George Orwells Sohn, zitiert: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es eine Parallele zwischen Trump und ,Farm der Tiere‘ gibt. Und Trump ist Mr. Jones und Napoleon in einer Person. Ein grauenhafter Gedanke, nicht wahr?“ Ein Gedanke, der erschreckt und nachhallt.

Segerer bringt auch einen Erzähler ins Spiel. Carsten Klemm führt souverän durch das Geschehen. Er bleibt ein ruhender Pol im Chaos der Farm. Im weißen Smoking scheint er neutral, doch wer seine Fell-Füße sieht, ahnt, dass das nicht so ist. Besonders berührend: Oliver Vilzmann als „Boxer“, das treue Arbeitspferd. Mit Boxhandschuhen und rührender Naivität folgt er Anführer Napoleon – bis er verraten und dem Pferdemetzger verkauft wird. Ein erschütterndes Sinnbild für blinden Gehorsam.

Am Ende gibt’s tosenden Applaus. Das Theater Wasserburg zeigt: Orwell ist aktueller denn je – und Theater kann gleichzeitig unterhalten und aufrütteln.

Abrissparty in
der Discokugel

Annett Segerer lädt dann ironisch zur „Abrissparty“ – die Discokugel am Kran steht also für eine Abrissbirne. Doch ans Aufhören denkt das Theaterteam noch lange nicht. Auch wenn es jetzt zur 25. Spielzeit einiges zu renovieren gibt. Die Kneipe erstrahlt schon in neuem Glanz. Sie steht, wie Segerer verkündet, „jetzt unter der Fuchtel von uns Theaterfuzzis“.

Die nächsten Aufführungen von Animal Farm: Freitag, 14. November, Samstag, 15. November, um jeweils 20 Uhr, und am Sonntag, 16. November, um 19 Uhr; weitere Termine unter: www. theaterwasserburg.de.

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