Grassau – Wer das Konzert im Programm der Villa Sawallisch entdeckt hat, ist zunächst einmal verblüfft – das Akkordeon und französische Barockmusik aus dem 17. Jahrhundert? Wie passt das zusammen? Wer neugierig genug war, um sich einen Platz im Konzert von Marko Sevarlic zu sichern, hatte die Gelegenheit, diesen Widerspruch auf das Angenehmste aufzulösen. Die Verblüffung hielt zwar den Abend über an, doch sie verlagerte sich immer mehr auf den Künstler und sein Instrument. Vielleicht ergab sich nebenbei die Erkenntnis, dass Musik, unabhängig von ihrer Epoche und dem Instrument, etwas Elementares sein kann, wenn sie in die richtigen Hände kommt, was in dem Fall gerne wörtlich genommen werden darf.
Dem französischen Hof von Ludwig XV. war das Akkordeon natürlich unbekannt, wurde es doch erst 1829 in Wien patentiert, rasch populär, auch ständig verbessert, verfeinert und immer wieder auch in der Bauart variiert. Marko Servarlic spielt an diesem Abend ein imposantes schwarzes Instrument, ein chromatisches Akkordeon, das die Stücke für Cembalo von Joseph N.P.Royer (1705 – 1755) als neue Klangschöpfungen präsentierte; wobei „keine einzige Note unter den Tisch fällt“, wie es der Künstler zwischen den Stücken gut gelaunt erklärte. So erfährt das Publikum auch, dass die Rondeaus, Courantes, Allemandes und andere tanzbare „Pièces de clavecin“ für den Musikunterricht der Töchter des Königs komponiert worden waren.
Nach den ersten fünf heiter perlenden oder auch mal orgelhaft kräftigen „Piècen“ aus dem Barock kündigt Sevarlic etwas Modernes an, das Stück „Ex Expecto“ der russischen Komponistin Sofia Gubaidulina (1931 – 2025), komponiert für Cajan, wie die osteuropäische Form des chromatischen Knopfakkordeons genannt wird. Manches klingt ein wenig nach Vorwarnung, wenn er zum Beispiel die Eigenart des Stückes erwähnt, über den sogenannten Luftknopf das Instrument tonlos atmen zu lassen. Das spirituelle Werk der zu Sowjetzeiten verbotenen Komponistin enthält viele tiefgründige Choral-Passagen, die auch mal von schrillen Dissonanzen unterbrochen werden.
Das ist insgesamt recht herausfordernd, für den Künstler wie fürs Publikum, aber doch faszinierend. Die Pause danach ist gut platziert. Die zweite Hälfte des Konzertes bringt noch einmal ausführliche Passagen durch die Musik- und Tanzsäle im Versailles des Goldenen Zeitalters. Immerhin zehn Stücke oder „Piècen“ sind es noch laut Programmzettel, deshalb unterhält der zunehmend gut gelaunte Künstler sein mittlerweile geködertes Publikum zwischen den Stücken mit immer neuen interessanten Details über sein Instrument und seine Geschichte, über die Spieltechnik bei einem Knopfakkordeon, über die Rolle des Joseph Royer als königlicher Musiklehrer und was dran ist an der heutigen Parole, dass eigentlichjeder in sechs Stunden Akkordeon lernen kann. „Und da habe ich 20 Jahre studiert!“ ist Marko Sevarlic‘ halbernster Kommentar dazu.
Der Abend mit ihm und seinem Instrument, das viele danach neuwahrnehmen werden, war einer dieser besonderen Konzertmomente, wie sie in der Villa Sawallisch öfter passieren.
„Großartig, was Sie hier alles auf die Beine stellen!“ So der Kommentar eines Besuchers bei der Verabschiedung vom Veranstalter Andreas Baumgartner. Es bleibt spannend in der Villa Sawallisch.www.sawallisch-stiftung/konzerte.Klaus Bovers