Sehnsucht nach Poeten, die umarmen

von Redaktion

Konstantin Wecker und seine Lebenslieder im Rosenheimer Kultur- und Kongresszentrum

Rosenheim – Ob es noch da ist? Dieses Pochen ganz tief drinnen im Herzen beim Hören seiner Lieder? Das haben sich wohl viele gefragt: volles Haus im Rosenheimer Kuko beim Konzert des Musikers, Poeten, Liedermachers, Autors Konstantin Wecker. Schulabschluss, der erste Kuss. Was und wer „werden“ – das alles hat Konstantin Wecker begleitet. Seine Lebenslieder sind auch meine Lebenslieder. Sie sprechen von Fallen, Aufstehen, Widerstehen. Von Mut und Wut, vor allem aber von Liebe. Sie rufen auf zum Nachdenken über eine Welt, die so wunderschön ist und in der zugleich der Mensch so abgrundtief wütet.

Sie sprechen vom Widerstand, vor allem gegen die Faschisten, die Kriegstreiber, gegen das satte, sinnbefreite Wohlstandsbürgertum. Das Alter hat vor Konstantin Wecker – inzwischen ist er 78 – nicht Halt gemacht. Die Spuren seines suchtbehafteten Lebens verdeutlicht am besten die erstarrte Hand, die verstehen lässt, warum das geliebte Klavierspiel nicht mehr möglich ist. Wecker führt die teilweise Lähmung auf das Nervengift Alkohol zurück. Pianist Jo Barnickel steht Wecker kongenial zur Seite, wie seit 30 Jahren.

Was der angeschlagene Körper nicht zu bremsen vermag, ist Weckers unbändige Lebens- und Liebeslust. In Wecker singt es, klingt es, spielt es, dichtet es wie eh und je. Spüren, nachspüren, das eigene Sein überdenken. Kein anderer vermag es so wie Konstantin Wecker, aufzurütteln und zu besänftigen zugleich.

Der Liederabend im Rosenheimer Kuko war kein plattes Massenamüsement – das waren Weckers Konzerte nie. Er lud vielmehr ein, „lebendiger zu leben“, sich nicht vom Alltag träge leben zu lassen.

„Lebendig leben“ – das lässt sich, wie es Wecker allen Zuhörern erneut tief ins Herz schreibt, nur mit guter Musik und Poesie, mit „un poco Italia“ und Franzl Schubert, wie Wecker sein großes musikalisches Vorbild liebevoll nennt, bewerkstelligen. Nach drei Stunden Lebensreise steht fest: Es ist noch da in mir, dieses Pochen tief drinnen im Herzen beim Hören seiner Lieder. Ja, wenn auch der Abend mit Blick auf seine körperliche Einschränkung von einer gewissen Abschiedsschwere getragen war, so lassen doch die Worte aus seinem Kleinen Herbstlied hoffen, das er so ungemein zärtlich vortrug: „Der Sommer geht vorbei, doch dieses Sterben wird bald, wie nebenbei, ein Blühen werden.“

Weckers Lebenslieder sind meine Lebenslieder geblieben. Der Abend hat einmal mehr verdeutlicht: Unsere zerrissene Welt benötigt keine Machthaber, sie braucht Poeten, die Nein sagen und umarmen – wie es Wecker im Publikum beherzt getan hat.

Eva-Maria Gruber

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