Rosenheim – Man hörte sie nur, sah sie aber nicht, beziehungsweise nur schemenhaft auf einem kleinen Bildschirm: Der Kammerchor Rosenheim sang, von einem Orchester begleitet und von Christopher Ryser geleitet, von der Orgelempore der Nikolauskirche herab sein Novemberkonzert, das von einer Kamera aufgenommen und auf den erwähnten Bildschirm übertragen wurde.
Ein selten
gehörtes Werk
Dieser Monat ist der Monat der Requiem, oft das von Mozart, diesmal aber, selten hier gehört, das von Maurice Duruflé, und zwar in der zweiten Fassung für Orgel, Streicher Trompeten, Harfe und Pauken.
Vorab aber gab’s Orgel- und A-cappella-Musik: Johannes Lamprecht, Hauptorganist von St. Peter in München, begann mit der Orgelsonate op. 65/VI von Felix Mendelssohn Bartholdy, die aus Choralvariationen über den Choral „Vater unser im Himmelreich“ besteht. Lamprecht stellte den titelgebenden Choral bedacht und bedeutsam vor und machte die Variationen durch reizvolle Registraturen transparent, selbst die flammend aufschießende Toccata in der vierten Variation. Trostvoll weiche Register verlieh er dem Finale, das nur ein bisschen eilig gespielt war: „Andante“ heißt ja die Vortragsbezeichnung.
Mit der fast zornig gestellten Frage „Warum?“ begann der Kammerchor die Motette „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen“, diese von Johannes Brahms in Musik gesetzte Theodizee-Frage mit Texten aus Hiob, den Klageliedern des Jeremias, den Jakobus-Briefen und dem abschließenden Luther-Choral. Auch wenn die folgenden „Warum?“-Einsätze bisweilen etwas zaghaft kamen, überzeugten doch die herbmüden Harmonien der „betrübten Herzen, die des Todes warten“, die so schwermütig süß sind, dass wir Zuhörer sich laut Hiob wie die Todesmüden „fast freuen, dass sie das Grab bekommen“. Machtvoll gebetet und mit stolzer Zuversicht gesungen endete diese Motette.
Mit einem fast pausenlosen Übergang begann dann das Requiem. Sanft umspülte das Orchester die gregorianischen Requiem-Melodien, auf denen dieses Requiem aufbaut. Auch wenn man dem Chor anhörte, dass dieses Werk Neuland für ihn ist, sang er sich mehr und mehr in diese oratorische Gedächtnismusik zwischen meditierender Trauer und glaubensgewissem Trost hinein. Kraftvoll und kirchenraumfüllend steigerte sich das Flehen um Erbarmen im „Kyrie“, im Offertorium malten die Trompeten und Pauken die Schrecken der Hölle aus – obwohl dieses Requiem auf das „Dies irae“ verzichtet. Mit mild-feinem Piano-Chorgemurmel beschrieb der Chor im „Lux aeterna“ die erhoffte Milde Gottes. Gerade diese Wechsel zwischen leisem Beten und drohendem Schrecken gelangen Chor und Orchester gut. Ryser leitete seine Mitstreiter mit immer fließenden Bewegungen zu ebenso fließenden Klängen. Mit schwebenden Klängen ging’s am Ende ins Paradies: Duruflé hat nämlich an das Ende seines Requiems den Text und die Melodie der Antiphonie „In Paradisum deducant te angeli“ gesetzt, die in der katholischen Sterbeliturgie vorgesehen ist. Das „Pie Jesu“ ist eine schmelzreiche und Belcanto-selige Arie für Mezzosopran. Die Stimme von Katharina Guglhör, die gewiss tadellos sang, ist dafür aber nicht schmelzreich genug, sie ist eher nonnenstreng. Donnerwucht entwickelte der Bariton Lukas Mayr in seinen Solo-Passagen, beschwörend im „Hostias et preces“ und angstvoll im „Libera me“, wo doch ein bisschen „Dies-irae“ Schrecken komponiert ist.
Ergriffenes Schweigen
in der Nikolauskirche
Am Ende herrschte langes ergriffenes Schweigen in der gut gefüllten Nikolauskirche, bevor der sehr, sehr lange Applaus losbrach. Christopher Ryser hat mit diesem Requiem den Nerv der Zuhörer getroffen – schön wäre eine Wiederholung im nächsten oder übernächsten Jahr.