Traunstein – Zurückgeblättert in der Historie sakraler Chormusik: „Seit Bachs h-Moll-Messe und Beethovens Missa solemnis ist nichts geschrieben worden, was auf diesem Gebiete sich neben Brahms‘ deutsches Requiem zu stellen vermag“, urteilte der Musikkritiker Eduard Hanslick 1868 in seiner hymnischen Kritik. Diese Aufführung war die erste vollständige Präsentation der damals sechssätzigen Fassung unter der Leitung von Brahms selbst. Die endgültige Fassung besteht aus sieben Sätzen.
157 Jahre später erlebten die Zuhörer in der Traunsteiner Auferstehungskirche, dass wirklich gute Kompositionen für die Ewigkeit taugen. Unter der Leitung von Matthias Bertelshofer, seit 2020 Dekanatskantor, wurde das Brahms-Requiem op. 45 in einer Bearbeitung für kleines Orchester aufgeführt. Der Chor der Kantorei Traunstein, so zeigte sich, war bestens geprobt. Die mitreißenden Einsätze in allen Stimmregistern, stets technisch ausgefeilt, übermittelten in gefühlsvollem Gesang, um was es Brahms ging. Dazu, ganz wie gewünscht, erfüllte eine intime, transparente Klangwirkung durch die feinabgestimmte Verzahnung mit dem kleinen Orchester und dem Yara-Ensemble die letzten Wünsche.
Den Blick auf die Glaskunst des Kirchenfensters gerichtet, das den auferstandenen Christus mit musizierenden Engeln zeigt, verstärkte das Wissen um die Kraft des Glaubens und der Musik.
Die Themen sind damals wie heute dieselben – der Mensch muss den Tod verarbeiten und annehmen. Sowohl den bevorstehenden eigenen als auch den eines nahestehenden Menschen. Das damit verbundene Leid gilt es zu (er)tragen und zu verwinden: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“, übersteht dem ersten Satz der Text aus der Bergpredigt Jesu. Und, grob umrissen ist es genau das, was der damals 34-Jährige in seiner Komposition zum Klingen bringen wollte: Nicht an die Toten, sondern an die Hinterbliebenen adressierte er sein Werk.
Die Textauswahl aus der Lutherbibel betont Trost, Hoffnung und die Verheißung des Friedens. Brahms selbst sagte: „Ich habe meine Trauermusik vollendet als Seligpreisung der Leidtragenden.“ Die Wahl der deutschen Sprache statt des lateinischen Messtextes, lässt die enthaltenen Botschaften in fast homöopathischen Dosen ganz unmittelbar als Monument des Mitgefühls wirken. „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“, mahnt der Trauermarsch im zweiten Satz und auch eindringlich der Chor „Aber des Herren Wort bleibet in Ewigkeit“. Bertelshofer dirigiert mit feinen Gesten, die es an Eindringlichkeit nicht fehlen ließen. Er spürte und ließ spüren, trat als einfühlsamer Vermittler an, dessen stummem Auftrag, so schien es, unbedingt Folge geleitet werden musste.
Herausragend, wie im dritten („Herr, lehre doch mich“) und fünften Satz („Ihr habt nun Traurigkeit“) die Gesangssolisten Micha Matthäus (Bass) und Henrike Legner (Sopran) mit interpretatorischer Ästhetik brillierten. Der Chor assimilierte die Themen, stark gingen die Sängerinnen und Sänger in der Mimik mit – die Artikulation gelang vollumfänglich, sodass ein jedes Wort da hin traf, wo Brahms es wollte: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“. Im sechsten Satz heißt es „Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden“. Noch Fragen? Großes Kompliment: Ein Gesamtkunstwerk für Stimmen und Instrumente über ein Thema, das jeden trifft, lebt und wirkt in dieser Traunsteiner Aufführung weiter.
Kirsten Benekam