Die lange Nacht der vielen Gitarren

von Redaktion

Fünf Gitarristen und eine Stimme bei den „Saitensprüngen“ in Bad Aibling

Authentisch: die Chansonnière Farah Erfani.

Bad Aibling – 23 Uhr ist es dann doch nicht geworden, wie Johannes Erkes, der Erfinder des Aiblinger Gitarrenfestivals „Saitensprünge“, in seiner Moderation scherzhaft angedroht hatte – aber beinahe. Doch die fast vier Stunden gingen wie im Flug vorbei, weil die Programmvielfalt von „Guitarrissimo!“, dem „Festival im Festival“, so abwechslungsreich war: Vom Flamenco über Tango, brasilianische Tänze und französisches Chanson bis zu einem Nocturne von Chopin war alles dabei. Fünf Gitarristen und eine Chansonsängerin hielten das zahlreiche Publikum im großen Kursaal in stetem Bann.

Musikalische
Huldigungen

Roberto Fabbri ist in Italien ein Altmeister des Gitarrenspiels, der viele Bücher dazu geschrieben hat. Anfangs wirkte er sehr verinnerlicht, taute aber dann zusehends auf. Sehr sanft und geradezu zärtlich spielte er ausschließlich eigene Werke. „South Cross – Ballade Crossing Europe“ wirkte wie eine gerade entstehende Improvisation, mit „Her Smile“, italienischer gesagt „Un sorriso“, zauberte er dieses komponierte Lächeln auf die Mienen der Zuhörer. Dem Gitarristen Eddie Van Halen huldigte er, indem er dessen Glam-Metal-Sound spielerisch verzärtlichte.

Ansonsten galt Fabbris Huldigung seinem Landsmann Lucio Battisti, dem „Leonardo da Vinci der italienischen Popmusik“, der „wie einer singt, den der Sommer von allen Zwängen, Grübeleien und Eitelkeiten befreit hat (so sagt Eric Pfeil in seinem Italo-Hits-Sammelbuch „Azzurro“), von dem er viele Lieder arrangierte und in dessen Sinne er spielte: zwanglos, grübelfrei, uneitel, sonnig und sehr italienisch.

Aus Italien kommt auch das junge Duo Striago, bestehend aus Mario Strinati und Pietro Agosti. Sie wirken, der eine blondmähnig, der andere dunkellockig, wie Gitarren-Engel und eroberten im Sturm die Gunst des Publikums. Immer wendeten sie sich beim Spiel einander zu und spielten so symbiotisch, dass man nie wusste, wer gerade was spielte – außer in ihrer Adaption von Chopins Nocturne op. 9/1: Hier übernahm Mario Strinati die Melodie, die Pietro Agosti umspielte. Beide spielten so hingebungsvoll und dynamisch differenziert, dass man meinen konnte, Chopin habe dieses Nocturne für diese beiden Gitarren-Engel komponiert. In „Anéis“ von Egberto Gismondi, einem ungemein melodiösen und lyrisch singenden Stück, schienen sie die Saiten zu streicheln und zu kosen, wohingegen sie im „Tango 1“ von Astor Piazolla den Tango-Rhyhtmus scharf markierten und auch mal auf dem Gitarrenkorpus schlugen. Temperamentvoll brasilianisch und einmal wie entfesselt wurden sie dann in „Bate-Coxa“ von Marco Pereira und einem Stück der Suite „Retratos“ von Radamés Gnattali, bis sie mit „Jongo“ von Paulo Bellinati wieder nach Italien zurückkehrten: mühelos virtuos, immens belebt und variantenreich im Spiel.

Oscar Herrero und Larry Hammett stellte Erkes als „Flamenco-Jazz-Duo“ vor, beide herausragende Könner der Gitarre, die ein perfektes, feines und sehr differenziertes Zusammenspiel zeigten und viele Arten des Flamenco-Spiels demonstrierten: den langsam-sentimentalen Flamenco petenera, den etwas schnelleren sevillanas, den kubanisch beeinflussten rumba und einen sehnsüchtigen Flamenco-Walzer. Sogar eine Huldigung an eine Bauchtänzerin im Programm: „Lama Bada“, eine anonyme Komposition. Nach der Pause zeigte dann jeder der beiden alleine, was er gitarristisch draufhat: meisterliches Spiel in Vollendung.

Mitten in diese reine Männer-Riege hatte das Programm eine Frau gestellt: Nur mit der Gitarre in der Hand betrat die junge Farah Erfani die Bühne, eine Gitarristin aus der Schweiz, die im Lockdown die französischen Chansons von Barbara und Serge Gainsbourg entdeckt hat und sie seitdem selber singt. Dabei moderierte sie, die aus einer englisch-schweizerischen Familie stammt, die französischen Chansons in astreinem Deutsch an: Europa in Reinform. Sehr sympathisch und authentisch kam sie rüber mit ihrer klaren, ein wenig eingedunkelten Stimme.

Wortspielerische
Chansons

Sie sang zumeist Chansons von Gainsbourg, so sehr energisch-genervt „Ce mortel ennui“, diese tödliche Langeweile, ein Lied über die Entfremdung zwischen zwei Liebenden. Aber sie hatte auch eines von Barbara im Programm: „Göttingen“ – das in Frankreich sehr bekannte Chanson, dass Barbara schrieb, nachdem sie 1964 zum ersten Mal in Deutschland aufgetreten war, eben in Göttingen. Und eines von François Hardy: „Comment te dire adieu“ – Wie sage ich Dir Adieu. In ihren selbstverfassten Chansons zeigte Farah Erfani sich wortspielerisch: Sie verquickte „je fume“, auf Deutsch: ich rauche, mit „nous fûmes“, auf Deutsch: wir waren, und philosophierte so mittels Rauch und Grammatik über die Vergänglichkeit.

In der Zugabe nahmen beide männlichen Gitarren-Duos Farah Erfani in die Mitte und begleiteten sie vielsaitig bei dem Chanson-Klassiker schlechthin, dem melancholisch schönen „Le Feuilles mort“ von Jaques Prévert (Text) und Joseph Kosmas (Musik), das Yves Montand unsterblich gemacht hat. Großen Beifall und Jubel gab’s immer schon zwischen den Auftritten und vollends am Ende der wie im Flug verbrachten Zeit.

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