„Man spürt die Kraft der Erde“

von Redaktion

Das Interesse ist ungebrochen und inzwischen ist Deutschlands erster freitragender Lehmbau in Betrieb: Am kirchlichen „Bildungscampus St. Michael“ in Traunstein ist in den Worten der Architektin ein „Leitbild für andere Orte der Welt“ entstanden. Die OVB-Heimatzeitungen haben mit ihr hineingeschaut.

Traunstein – Das Haus gibt schon von außen ein anderes Bild ab. Beim Betreten herrscht eine eigene, „warme“ Atmosphäre – und wenn man sich den Wänden nähert, weiß man auch, warum: Es ist ein Haus aus Lehm, das beim Studienseminar St. Michael jetzt offiziell in Betrieb genommen wurde. Deutschlands erster freitragender Lehmbau steht auf der Wartberghöhe in Traunstein. In drei Jahren wurden rund 1.450 Tonnen des Erdmaterials verbaut. Zur offiziellen Campuseröffnung am vergangenen Montag spendete auch Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, seinen Segen.

Architektin Heringer: „Man
spürt die Kraft der Erde“

„Man kommt herein und fühlt sich sofort geborgen“, schaute sich Anna Heringer um. Die aus Laufen stammende Architektin macht sich schon seit vielen Jahren für den Baustoff Lehm stark. Ihre Lehm-Architektur wurde bisher nur im „globalen Süden“ verwirklicht, in Ghana oder Bangladesch. „In Deutschland hatte ich bisher wenig Referenzen. Daher danke ich den Bauherren. Das war mutig, ein Wagnis.“ Lehm als Baustoff kennt die hiesige Bauordnung nicht einmal. Es brauchte eine eigene Genehmigung durch das Bauministerium.

Doch der Mut hat sich ausbezahlt: „Das Gebäude steht mit einer ruhigen Präsenz da. Man spürt die Kraft der Erde, dieses mütterliche Element“, so Heringer. Rund einen Meter dick sind die Wände: dicke Lehmblöcke des Vorarlberger Bauunternehmers Martin Rauch, dazu Holz-Leichtlehmziegel und Lehmputz. Aber: Ganz ohne Stahl und Beton ging es auch hier nicht. Bei Decken und Böden mussten Kompromisse gemacht werden. Auch die westliche „Wetterseite“ durfte nicht aus Lehm gebaut werden – Vorschrift der Behörden. Unterm Strich liegt der Lehm-Anteil bei ungefähr 50 Prozent.

Freilich, der ungewöhnliche Baustoff ist teurer: bei 20 Millionen Euro ist man zum Schluss herausgekommen – zumindest auf den ersten Blick. Heringer verweist immer wieder darauf, es gebe keine „Kostenwahrheit“, denn Stahl und Beton könnten zwar billig gekauft werden, eine spätere Entsorgung sei dafür umso teurer. Überhaupt sei Lehm das einzige Baumaterial, das man direkt der Natur entnehmen könne. Er könne ohne Qualitätsverlust beliebig oft recyclet oder wieder in die natürlichen Kreisläufe zurückgeführt werden. „Das Material ist weltweit und in Fülle vorhanden. Es wird uns gratis von der Natur geschenkt und entsteht permanent durch natürliche Erosion“, freut sich auch Wolfgang Dinglreiter, Direktor des Studienseminars St. Michael. Ein Café, eine Mensa, Büros, ein Second-Hand-Spielzeugladen, ein Co-Working-Space und Beratungsräume, dazu ein Dachgarten. All das findet jetzt Heimat zwischen den wuchtigen Lehmsäulen.

Vieles ist öffentlich zugänglich. Der ganze Komplex ist gespickt mit Nischen, Innenhöfen und Rückzugsorten. „Unser Campus ist ein Kraftfeld, ein Möglichkeitsraum, um Ideen auszuprobieren“, so Dinglreiter. Das Lehmhaus ist nur ein Teil des „neuen“ Studienseminars St. Michael: Ein neuer Kindergarten ist schon gebaut, das Knabeninternat für 40 bis 50 Schüler ebenfalls. Die Sanierung des prägenden, historischen Altbaus wird 2027 abgeschlossen. Für alle Maßnahmen wurde 57 Millionen Euro in die Hand genommen.

Führungen mit Anna
Heringer am 1. Dezember

Was ist demnächst geplant am Campus St. Michael? Am Samstag, 29. November, gibt ein „All Inclusive Konzert“, bei dem jeder Teil der Band wird. Am Montag, 1. Dezember, werden Führungen von Architektin Anna Heringer durch den Lehmbau angeboten – eine kürzere Führung von 18.30 bis 19 Uhr und eine längere von 19 bis 20.30 Uhr.

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