Rosenheim – Das kann ja heiter werden, dachte sich der Rezensent, als er die zeitliche Ankündigung im Kultur- und Kongresszentrum las: Hagen Rether: Beginn 18 Uhr – Ende 21.30 Uhr. Am Ende waren es knapp vier Stunden.
Die Zukunft? Eine Zumutung! Diese Aussage Rethers könnte man als Titel für dieses Programm nehmen: viel Heiterkeit, aber insgesamt eine zeitliche Zumutung. Auf dem Podium standen ein Klavier mit Bananen drauf sowie ein Bürostuhl davor. Diese für Hagen Rether ikonischen Bühnenelemente wurden vor dem Beginn schon eifrig von den die Halle gut füllenden Zuschauern fotografiert. Und jeder wartete dann darauf, wann und ob Rether diese Bananen verzehrt.
Intellektueller
Rundumschlag
Rether fläzte sich in seinen Bürostuhl, wippte vor und zurück, ließ die Lehne rauf- und runterrasten und trommelte zwischendurch mit den Fingerspitzen auf die Lehne. „Wie genießt man Freiheit?“, fragte er anfangs, um dann einen intellektuellen Rundumschlag gegen die Wähler zu führen, die seit Jahren die falschen Parteien wählen: „Die Deutschen wählen immer den Onkel, der einen mit Schokolade ins Bett gehen lässt, statt die Zähne zu putzen.“
Die richtige Partei? Anscheinend die Grünen. Daraus machte Rether kein Hehl. Sie sieht er als Heilsbringer, weil sie die „biblischen Herausforderungen, die auf uns zukommen“, sehen, benennen und bewältigen wollen, die aber damit uns auch Zumutungen zumuten. Natürlich seien aber die Grünen auch nicht fehlerfrei, aber sie sagten wenigstens die Wahrheit, meinte er. Allerdings täten sie dies so unverblümt wie ungeschickt: „Die Grünen sind wie Welpen, die vor der Wahl eifrig mit der Wahrheit im Maul herumwuseln.“ Das Klavier blieb bis dahin ungespielt, die Bananen blieben ungegessen.
Wir als Wähler hätten aber bisher „immer die Schlummertaste gedrückt“, hätten die CDU gewählt, wunderlicherweise „wegen ihrer Wirtschaftskompetenz“. Und dann zählte Rether lange auf, wie die bisherigen Regierungen unsere Gesellschaft heruntergewirtschaftet hätten. Das tat er zugegeben sehr unterhaltsam mit treffenden sarkastischen Vergleichen. Zum Beispiel, als er die EU-Vorschrift kritisierte, dass eine vegane Wurst nicht mehr Wurst heißen dürfe: „Wenn ein Veganer kackt, ist da auch kein Fleisch drin!“
Er plädierte vehement für die zukunftsfähige Wirtschaft, für die Bekämpfung der Klimaerwärmung und für Elektroautos: „Wollen wir, dass wir uns trotzig in unser Verbrenner-Auto setzen, begeistert in unser Schnitzelbrötchen beißen und zuschauen, wie Dresden dreimal im Jahr absäuft?“ Das Klavier blieb immer noch ungespielt, die Bananen blieben ungegessen.
Hagen Rether regte sich auf über das „Abwatschen der Anständigkeit“, warnte vor den Tech-Oligarchen und der Zunahme des massiven Rassismus‘ und vor den westlichen „Faschos“, die den Ossis die Demokratie erklären wollen: „Jetzt wissen wir erst, warum die DDR einen antifaschistischen Schutzwall hatte.“
Er geißelte vor allem eine Politik, die sofort auf die Bürgergeldempfänger losgeht: „Eine Gesellschaft, die dauernd auf die Kleinen geht, ist eine schwache Gesellschaft.“ Dies belegte er mit immer neuen pekuniären Vergleichen, was die Armen uns kosten und was die Reichen, die die Steuerschlupflöcher genießen.
Aufrichtiges Mitleid
mit Robert Habeck
Er ging dann auch persönlich manche Politiker an: „Dobrindt ist ja echt! Solche Typen hat früher immer Dieter Krebs gespielt.“ Er betonte, dass auch die Grünen Fehler machen (dürfen), aber: „Die Grünen müssen ja heiliger als der Papst sein!“ Leid tat ihm, wie vor allem Robert Habeck mitgespielt worden ist, und er sagte dazu: „Lieber am Küchentisch mit Habeck als am Stammtisch mit Merz!“
Alles war eine unendliche Aneinanderreihung gut formulierter Pointen, denen aber die dramaturgische Zuspitzung fehlte, geschweige denn, dass alles eine dramaturgisch geformte Geschichte ergeben hätte. Auch Richtiges kann ermüden, wenn es zu viel wird.
Zwischendurch fragte er sich grübelnd, was wohl der Philosoph Jürgen Habermas sich denke, wenn er die „Tagesthemen“ schaut. Alles erinnerte an die Unterrichtsstunde eines redewütigen Sozialkundelehrers ohne Punkt und Komma, ohne Höhepunkt, ohne Methodenwechsel und ohne Beteiligung der Schüler.
Ein Intermezzo am Klavier wäre wirklich unterhaltsamer, abwechslungsreicher und amüsanter gewesen. Amüsant aber wollte Hagen Rether überhaupt nicht sein. Ob das Klavier überhaupt gespielt wurde und ob die Bananen gegessen wurden, blieb dem Rezensenten unbekannt, weil er es nicht ganz bis zum Schluss ausgehalten hat.