Bad Aibling – So gut wie ausverkauft war der kleine Kursaal beim klassischen Gitarrenkonzert mit dem schottisch-spanischen Gitarristen David Russell im Rahmen des Gitarrenfestivals „Saitensprünge“. Kein Wunder, war dies doch ein Abend voll feinster Gitarrenmusik, meist spanischer Herkunft in vollendeter Technik.
Fast ein ganzes Kammerorchester schien man zu hören in dem melodiös-eleganten Walzer „Pienso en ti“ („Ich denke an dich“) von Carlos Garcia Tolsa (1858 bis 1905), den Russell nach der spannungsvollen Einleitung mit Verzögerungen und Temposteigerungen belebte. Die Reinheit und Leichtigkeit des Spiels von Russell genoss man in drei tanzbetonten Stücken von Regino Sáinz de la Maza (1896 bis 1981), vor allem aber in einer Sonata von Benedetto Marcello (1686 bis 1739), die Russell für Gitarre bearbeitet hat. Einem sehr luftigen, ja schwebend leichten Allegro folgte ein Largo, das wie eine sehnsüchtig seufzende Romanze wirkte, bis alles mit einem heiteren Kehraus endete. Meisterhaft, wie sauber Russell die Läufe glitzern und die Akkorde rein leuchten ließ.
Den Hauptteil bildeten zwei große Blöcke: In „Castillos de España“ beschreibt Federico Moreno Torróba (1891 bis 1982) 14 spanische Schlösser, darunter ein Traumschloss sowie eines, das in „Game of Thrones“ eine Rolle spielt. In „Homage to Charles Chaplin“ erinnert Gabriel Estarellas (geboren 1952) mit der Gitarre an Charlie Chaplin und beschreibt unter anderem dessen Spazierstock und Stiefel.
Damit man die auskomponierten Schlösser vor Augen hatte, waren sie auf eine Leinwand projiziert, das machte das Hören augenscheinlicher. So konnte man den stolz hochragenden Alcázar de Segovia ebenso bewundern wie die nur aus einem dicken Turm bestehende Alba de Tormes oder die eben aus „Game of Thrones“ bekannte Zafra, die alleine in menschenleerer Landschaft thront.
Hier lässt die Gitarrenmusik die Blicke weit umherschweifen. Die Pinien um das Castillo de Montemayor rauschen, rhapsodisch wirkt die Musik beim Castillo in Manzanares el Real, ein fröhliches Fest wird gefeiert im Castillo de Turégano. In anderen Schlössern scheinen sich romantische Liebschaften zu ereignen: Russell dunkelt den Klang seiner Gitarre manchmal ein oder hellt ihn auf und erzählt damit Geschichten oder macht Geschichte hörbar.
Liebevoll gestaltet Russell die kleinen Stimmungsbilder in der „Homage to Charles Chaplin“, lässt in „Suenos“ (Träume) einzelne Töne im Raume schweben und ahmt in „Bastón“ den schwingenden Duktus von Chaplins Spazierstock nach oder Chaplins Gang in seinen Stiefeln („Botas“): „These boots are made for walking“, würde Nancy Sinatra hier singen. Das kennerische Publikum lauschte allem in ruhig-gespannter Anteilnahme und sparte nicht mit Applaus.
RAINER W. JANKA