Sieben Monate zwischen DEL und Bezirksliga

von Redaktion

OVB-SPORTSERIE „20 Jahre Starbulls Rosenheim – Geschichte und Geschichten“ – Teil 1: Die Anfänge

Rosenheim – Nicht nur wegen des Wechsels in ein neues Jahrtausend war 2000 schon ein ganz besonderes Jahr: Deutschland erhält den Zuschlag für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006, der TSV 1860 München feiert den zweiten Derby-Sieg in einer Saison gegen den FC Bayern und Borussia Dortmund entrinnt mit Teamchef Udo Lattek dem Abstieg. Der designierte Fußball-Bundestrainer Christoph Daum wird des Kokainkonsums überführt, Stefan Raab vertritt Deutschland beim Eurovision Song Contest und beim ZDF wird der Drehbeginn einer neuen Vorabend-Serie verkündet: die „Rosenheim-Cops“. Korbinian Hofer, Michi Mohr und Miriam Stockl lösen damit das Eishockey als deutschlandweites Rosenheimer Prestige-Produkt ab. Letzteres hat sich nämlich aus dem Rampenlicht verabschiedet. Von der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) bis runter in die Bezirksliga in knapp sieben Monaten – die Chronologie von Hoffen und Bangen, von bitteren Enttäuschungen und neuentflammter Euphorie:

9. April: Im letzten Heimspiel der DEL-Saison besiegen die Star Bulls Rosenheim die Eisbären Berlin mit 7:3. Abschiedsstimmung kreist durch das Oval des Eisstadions – nicht nur, weil mit Gordon Sherven und Mondi Hilger zwei verdiente Spieler verabschiedet wurden. Der damalige Geschäftsführer Peter Lutz spricht von einer „Deckungslücke von zwei Millionen Euro“.

11. April: Das letzte Rosenheimer Eishockeyspiel in der höchsten Liga endet mit einer 1:7-Niederlage in Nürnberg. Das letzte Rosenheimer Tor erzielt der Schwede Niklas Brännström. Die Star Bulls stehen nach 68 Spielen mit 90 Punkten auf dem vierten Platz der Abstiegsrunde. Gerüchten zufolge interessiert sich Hamburg für die Rosenheimer DEL-Lizenz.

15. April: Das Oberbayerische Volksblatt (OVB) titelt: „Müssen Star Bulls in die Landesliga?“ In dem Artikel heißt es: „Oberliga, das ist nicht!“ Der damalige Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), Franz Reindl, sagt: „Rosenheim hat sich sportlich für keine DEB-Liga qualifiziert und muss daher im Landesverband anfangen.“

10. Mai: In einer Pressekonferenz erklären die Verantwortlichen der Star Bulls, dass weiter Mittel für eine Fortsetzung des Spielbetriebs in der DEL fehlen.

23. Mai: Es gibt einen neuen Verein in Rosenheim. Im handschriftlich aufgesetzten Original-Protokoll der Gründungsversammlung im Sparkassen-Hochhaus heißt es: „Heute am 23. Mai 2000 erschienen in Rosenheim die Herren Raimond Hilger, Richard Diebald, Thomas Seidl, Peter Grubauer, Andreas Peter, Josef Schlosser, Wilhelm Graue, Siegfried Bernegger, Maximilian Gaar, Ingo Dieckmann, Heinz Pohl und Günther Hanselko. Die vorgenannten Personen erklären, einen Verein gründen zu wollen.“

30. Mai: Das OVB verkündet: „Es geht weiter: Eishockey jetzt in der Landesliga“. Im Bericht heißt es: „Die Star Bulls GmbH ist tot, es lebe der Starbulls e.V.“ Mondi Hilger hat den Neuanfang des Rosenheimer Eishockeys initiiert. „Mir würde das Herz bluten, wenn alles den Bach runtergeht“, so Hilger. Geplant wird mit einem 500000-Mark-Etat, wovon nur ein Fünftel für die erste Mannschaft bereitsteht. Das sportliche Ziel ist auf vier Jahre ausgerichtet, am Ende soll dann die Oberliga stehen.

26. Juni: Hilger ist auch mit der Zusammenstellung der Mannschaft beauftragt. Es wird mit 14 Spielern aus den eigenen Junioren geplant, dazu schnüren bekannte Namen die Schlittschuhe: Wacki Kretschmer, Toni Maidl, natürlich Mondi Hilger oder auch Jürgen „Bogo“ Lechl. Erster Trainer wird Gerhard Graf, der zugleich auch die Junioren in der Deutschen Nachwuchs-Liga (DNL) trainiert. Die Rosenheimer Nachwuchsteams dürfen nämlich in den bisherigen Spielklassen antreten.

11. Juli: Der nächste Tiefschlag: Rosenheim soll ganz runter, in die Bezirksliga. Bei einer Versammlung der bayerischen Eishockey-Funktionäre wurde der Antrag von Rosenheim und Landsberg auf Eingliederung in die Landesliga nicht einmal in die Tagesordnung aufgenommen. Mondi Hilger droht: „In der Bezirksliga spielen wir nicht. In dieser Klasse können sogar die Stadtwerke Rosenheim eine tragende Rolle spielen.“

17. Juli: Hamburg war längst aus dem Rennen, jetzt wird die DEL-Lizenz der Star Bulls nach Iserlohn vergeben.

18. Juli: Ein Hoffnungsschimmer: Bei einer Funktionärssitzung in München wird Rosenheim eine Chance auf die Teilnahme an der Regionalliga (damalige Spielklasse zwischen Ober- und Bayernliga) offeriert. „Stand es vor der Sitzung 0:5 gegen uns, so steht es jetzt unentschieden“, verkündet Hilger.

28. Juli: Der Antrag der Starbulls für eine Regionalliga-Eingliederung wird abgelehnt. Für Hilger keine Überraschung: „Ich habe mit keiner anderen Entscheidung gerechnet. Dafür kenne ich den DEB zu gut.“

12. August: Nun geht es um die Landesliga. Die entscheidende Tagung steht an: „Die Rosenheimer Verantwortlichen hoffen auf die Vernunft der Funktionäre. Doch kann man sich der Sache nicht sicher sein“, heißt es im OVB.

14. August: Der Antrag für die Landesliga wird abgeschmettert, das Ergebnis lautet 28:43 aus Rosenheimer Sicht. Mondi Hilger schimpft, er habe sich in einer Proletenversammlung, umgeben von lauter Dummköpfen, befunden. „Mir wurde bewusst, dass die größten Krankheiten in unserer Gesellschaft Neid und Schadenfreude sind“, schimpft der langjährige Nationalspieler. Hilger lässt sich aber nicht entmutigen und verkündet deshalb: „Jetzt erst recht!“ Aber halt in der Bezirksliga, der siebten Spielklasse.

17. August: Bei einer Versammlung in der Eishockey-Gaststätte wird Hilger von über 300 Fans mit frenetischem Beifall empfangen. Die Fans erkennen den Kampf des Urgesteins ums Rosenheimer Eishockey an – und sichern ihre Unterstützung zu.

9. September: Das erste Testspiel: Die Starbulls besiegen den drei Klassen höher angesiedelten TEV Miesbach mit 5:3, das erste Tor fällt nach 31 Sekunden – durch Mondi Hilger. 910 Zuschauer sind ins Rosenheimer Eisstadion gekommen, das OVB titelt: „Starbulls gewinnen Spiel und Zuneigung der Fans.“

September/Oktober: Es gibt weitere Testspielsiege: 4:2 gegen Landsberg, 9:3 in Waldkraiburg, 21:0 gegen Wattens, 14:2 gegen Trostberg, das zwei Klassen höher spielt. Die einzige Niederlage in elf Vorbereitungsspielen kassiert man in Miesbach. Und am Rande der Partien setzt man über 600 Dauerkarten ab.

28. Oktober: Das erste Punktspiel steht beim TEV Miesbach 1b auf dem Plan. Am Ende gibt es ein Schützenfest mit 18:3. Nach sechs Minuten und zehn Sekunden gelingt Stefan Rohm der erste Treffer. Später erzielt Hilger sechs Tore, Vitus Mitterfellner trifft fünfmal. Weil unter den 786 Zuschauern über 700 aus Rosenheim kommen, müssen die Starbulls-Spieler gleich dreimal aus der Kabine kommen und Ehrenrunden drehen.

4. November: Das erste Punktspiel vor heimischer Kulisse steht bevor, Gegner ist der EV Berchtesgaden: „Zu dem Match erwarten die Starbulls-Verantwortlichen rund 1500 Zuschauer“, heißt es in der OVB-Vorschau auf die Partie.

5. November: Erneut haben die Starbulls ein Schützenfest veranstaltet: Die Rosenheimer gewinnen mit 22:0, wieder erzielt Mitterfellner fünf Treffer. Das Spiel beginnt eine halbe Stunde später als geplant, weil die Zuschauer in Scharen um Karten anstehen. Am Ende kommen über 3000 Fans – mehr als in den DEL-Heimspielen der Abstiegsrunde.

Eishockey seit 1928 – Drei deutsche Meistertitel, eine Insolvenz und zwei freiwillige Rückzüge

Eishockey – zeitweise der bekannteste „Exportartikel“ der Stadt – wurde in Rosenheim schon lange vor den derzeitigen Starbulls gespielt. Die Vorläufer hießen Star Bulls (andere Schreibweise und andere Organisationsform), Sportbund sowie ganz zu Beginn EV Rosenheim. Ein kleiner chronologischer Abriss:

Das erste Eishockey-Match brachte am Neujahrstag 1928 ein 0:12 gegen eine Münchner Reservemannschaft auf der Spritzeisbahn des Tennisclubs an der Wittelsbacherstraße. Natürlich war an ein Stadion jahrzehntelang nicht zu denken; die Spiele wurden auf Spritzeisbahnen, Weihern und später auf dem Stadtsee ausgetragen und fielen nicht selten auch der Witterung zum Opfer. Trotzdem gehörte man 1951 bis 1953 sogar der höchsten deutschen Spielklasse, damals Oberliga, an. Bekanntester Akteur dieser Zeit war Hans Huber, vielfacher Nationalspieler und mehrmaliger WM- und Olympia-Teilnehmer, der den EVR als 42-Jähriger in der Bundesliga unterstützte.

Mit Willi Buchecker und Rudi Lechl als Spendensammler und Lobbyisten gelang es endlich 1961, der Stadt Rosenheim den Bau eines Kunsteisstadions abzuringen, und schnell etablierte man sich in der dritt- beziehungsweise zweithöchsten Klasse im Süden. 1972/73 war man (mit Stürmergenie Cal Russell und Supertalent Hermann Hinterstocker) kurz erstklassig, nach zwei weiteren Zweitliga-Jahren konnte man sich 1975 langfristig in der Bundesliga etablieren. Populäre Legionäre wie Jaroslav Tuma oder Tommy Salmelainen prägten das Bild ebenso wie „Local Heroes“ wie Gerhard Baldauf, Gerhard Graf oder Manfred Kastner, um nur einige stellvertretend für viele zu nennen.

1978 aber ging der EVR in die ewigen Insolvenz-Jagdgründe ein, und die Ära des Sportbund DJK Rosenheim begann. Für die Finanzen sorgte fortan Marox-Inhaber Josef März, für den nötigen Sachverstand dessen Manager Josef Wagner mit einem Experten-Rat aus ehemaligen Spielern, in Fankreisen „Eisheilige“ genannt. Erster unbestrittener Höhepunkt war natürlich die erste deutsche Meisterschaft, die Hans Zach, Karl Friesen, Gerhard Baldauf & Co. 1982 erkämpften. Nun begann die absolute „Hoch-Zeit“ des Rosenheimer Eishockeys mit dem vielleicht die Konkurrenz am meisten dominierenden SBR-Team aller Zeiten, der Meister von 1985 ohne eine einzige Play-off-Niederlage mit Franz Reindl, Ernst Höfner und Jamie Masters als Stars. Bis zum Ende der Ära Marox im Sommer 1992 folgte zwar „nur“ noch eine weitere Meisterschaft (1989) mit Mondi Hilger als Schütze des entscheidenden Finaltores, aber das Team um Wacki Kretschmer, Gord Sherven und vielen anderen unvergessenen Eis-Helden erreichte in allen diesen Jahren stets das Halbfinale oder auch das Finale.

Dann folgte kurz nach dem Tod von Josef März der freiwillige Rückzug aus der Bundesliga. Nach einem letzten Höhepunkt, dem sofortigen Wiederaufstieg aus der Zweiten Liga durch „Ernst Höfners Kindergarten“, wie die Mischung aus eigenen Nachwuchsspielern, ein paar Rückkehrern von anderen Zweitliga-Klubs und einigen „Leitwölfen“ wie Ron Fischer, Butzi Reil oder Rick Boehm, genannt wurde, folgten unsichere Zeiten ohne große sportliche Höhenflüge und nur seltenen Play-off-Erfahrungen.

Seit der Gründung des „Eishockey-Tiergartens“ DEL nannte man sich Star Bulls. Eine Saison ragte heraus (1996/97 mit Scott Beattie, Chris Bartolone & Co.), als Jim Hillers unvergessener Overtime-Treffer gegen Landshut den Einzug ins Play-off bedeutete, aber das war’s dann auch schon. Im Sommer 1997 hing schon das Damokles-Schwert eines diesmal endgültigen Ausstiegs über der „Franchise“, noch einmal abgewendet durch den Einstieg des neuen Sponsors Dr. Anton Kathrein. Obwohl die letzte Saison (1999/2000) relativ vernünftig verlief, kam dann das Aus mit Ansage.

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