Neubeuern – Spitznamen sind kurz. Zum Glück. E-ma-nu-el Buch-mann? Vergiss es. So aber presse ich es gerade noch raus. „Emu – wie schnell?“ Auch Ralph Denk ist in dieser Phase unserer Ausfahrt kurz angebunden. „Doppelt so schnell.“
Ralph Denk (47), Teammanager von Bora-hansgrohe, und ich (älter) sitzen auf dem Rad. Denk ist selbst Rennen gefahren und heute unterwegs auf dem Team-Rad von Bora-hansgrohe, dem neuesten Specialized-Modell, mit nur 6,8 Kilo trotz Scheibenbremsen. Ich bin Hobbyfahrer, mit mindestens so viel Begeisterung wie Fitness gesegnet. Mein Rad: Ein älteres Trek Madone. Ziemlich gut. Aber kein Vergleich mit Denks Luxus-Renner.
Zum Glück steht kein Rennen auf dem Programm. Ralph Denk und ich, wir müssen reden. Über die Chancen von Bora-hansgrohe bei der Tour. Und über den Sport im Allgemeinen. Losgefahren sind wir in Neubeuern, Richtung Sachsenkam und Entleiten, dann ein langer Anstieg hinauf nach Steinkirchen, bei dem sich die Betonpiste bis zu 18 Prozent aufbäumt. Nix mit Gleiten hinter Entleiten.
Es ist der Punkt, an dem wir uns über Emanuel Buchmanns Spezial-Qualität austauschen. Buchmann würde die Straße hinauf am Samerberg doppelt so schnell meistern wie wir. 59 Kilo wiegt er, gut zehn Kilo weniger als ich. „Macht 50 Watt, die du mehr treten musst als Emu“, sagt Denk.
Die typische Tour-Etappe ist unwesentlich länger als unsere kurze Ausfahrt. Buchmann würde unsern Berg abhaken. Und könnte dann noch viele Kilometer weiterfahren. An diesem Tag. Und am nächsten. Und am übernächsten. 21 Etappen zählt die Tour. Buchmann soll an ihrem Ende in Paris auf dem Podest stehen.
Auf Buchmann hat „Bora-hansgrohe“ seine Taktik ausgerichtet, nicht mehr in erster Linie auf den Sprinter Peter Sagan. Dessen Edelhelfer Marcus Burghardt aus Samerberg fährt daher diesmal nicht zur Tour de France. Buchmann hat dafür vier Helfer, die ihm Windschatten geben und ihn mit Wasser versorgen sollen. Bei meinem Tempo würde er vermutlich verdursten.
Ralph Denk und ich strampeln derweil. Kaum ein Wölkchen steht am Himmel, perfektes Wetter. Hinter uns sinken die sattgrünen Hügel und gemächlichen Höfe von Sachsenkam weiter und weiter in die Tiefe. Schließlich verschluckt uns der Wald, kühle Luft umfängt uns.
Fragezeichen
nach dem Sturz
Ein schöner Beruf, dieses Radfahren, denke ich in diesem Augenblick. „Ziemlich hart“, sagt Ralph Denk, bei Regen, bei Hitze, bei Kälte fahren die Profis 80, 90 Rennen im Jahr. Auf die Dauer sei der Sport vielleicht der härteste überhaupt, meint Denk. So war es auch gedacht. „Das perfekte Rennen ist jenes, in dem nur ein Fahrer das Ziel erreicht“, sagte Tour-Mitbegründer Henri Desgrange. Uns rüttelt es gerade durch, die Betonpiste ist ruppig. Denk grinst schief und murmelt etwas von „wie die Straßen in Belgien“.
Hinter Bora-hansgrohe liegt die Dauphiné und damit langes Bangen. Emu Buchmann ist schwer gestürzt, auch Gregor Mühlberger und Max Schachmann (bei der Lombardei-Rundfahrt) haben sich verletzt. Buchmann hat Prellungen, muss eine Trainingspause einlegen. Soll das Team die Taktik wechseln? Die Gesamtwertung versuchen wir mit Emu oder gar nicht“, sagt Denk. Wenn nicht, dann baue man auf Sagan. Ob er sauer ist auf die Veranstalter, das hohe Risiko, das sie den Fahrern aufbürden? „Risiko gehört dazu“, sagt Denk. Und ohne Drama keine Tour de France.
Tage später Entwarnung: Buchmann fährt. Auch Bergspezialist Schachmann und Mühlberger sind dabei. Gut für Buchmann, der die Tour 2020 als „wie gemacht für mich“ bezeichnet. Es gibt keinen Prolog, „es geht von Beginn an zur Sache“, sagt Denk. Das Team ist gut drauf, führt die UCI-Weltrangliste an, der Neustart nach Corona sei gelungen, sagt Denk. Gerade für Buchmann. Im Vorjahr war er bereits Vierter. Auf dem Fahrer mit Trikotgröße „Extra small“ lasten extra große Erwartungen. Wenn nur der Sturz keine bösen Folgen hat.
Dann sind wir oben. Der Ausblick von Steinkirchen ist grandios, die Abfahrt auch. Am Ortseingang In Törwang färbt sich der LED-Smiley kurz rot und lässt tadelnd die Mundwinkel sacken. Dabei sind wir weit entfernt von den 80, 90 km/h, die Radprofis in der Abfahrt locker schaffen. Denk richtet sich auf, nimmt die Hände vom Lenker, kramt in seinen Trikottaschen, fördert eine Weste zutage. Er weiß, dass der Fahrtwind noch stärker werden wird. Er zischt den Berg hinunter wie ein Jet. Nur ohne Lärm. Ich hingegen bremse. Manchmal jedenfalls. Denk kennt den Berg besser. Außerdem ist er mit dem Rad quasi aufgewachsen. „Das ist wie Skifahren, als Erwachsener lernt man das nicht mehr.“
Die Heimfahrt: Zügig. Japsen müssen wir nicht mehr. Denk zeigt auf sein Rad: „Die Aerodynamik macht sicher 20 Watt aus.“ Sein Specialized Tarmak SL 7 gilt als Top-Entwicklung und ist mit über 10.000 Euro unerschwinglich für Normalsterbliche, mit elektronischer Schaltung und innovativen Details wie der angerauhten Lenkeroberfläche: Die Textur soll, ähnlich wie die Dellen im Golfball, störende Verwirbelungen verhindern. „Es ist so etwas wie das iPhone unter den Rennrädern“, sagt Denk. Das Rad kommuniziert tatsächlich: Kaum befindet es sich im Bereich des Heim-Wlans, übermittelt es die Fahrtdaten an den PC.
Klingt nach Science-Fiction. Die Radprofis wirken manchmal wie Außerirdische. Nun sind sie für drei Wochen auf dem Teil der Erde unterwegs, in dem Gott seinen Sommerurlaub verbringt. Für die Aliens ist es dort manchmal die Hölle.